Altersbedingt verlassen uns hier in der technischen Verwaltung in Kirchheim in naher Zukunft die Babyboomer. Auf drei Menschen folgen rechnerisch etwa 1 bis 1,2 Menschen nach“, verdeutlicht Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer das Dilemma. Er gehört selbst zu dieser Altersklasse, hat seinen Rückzug zum Jahresende bekannt gegeben.
Doch schon jetzt mangelt es an kompetentem Fachpersonal – auch bei den ausführenden Firmen. „Wir kommen an einen kritischen Punkt“, sagt Günter Riemer, denn in der Vergangenheit wurde Infrastruktur geschaffen: „In Kirchheim betreiben wir 200 Kilometer Straßen, 100 Brücken, 180 Kilometer Fußwege, ebenso viele Kilometer Kanal- und Wasserleitungen. Dazu kommen Friedhöfe und 200 Immobilien. Das will alles unterhalten werden und im Betrieb sein“, zeigt er die Dimensionen auf.
Im Tiefbau kann wegen fehlendem Personal Vieles nicht umgesetzt werden. „Das bedeutet einen Werteverlust – bis hin zu irreparablen Schäden. Wir haben einfach die Kapazitäten nicht“, sagt der Bürgermeister. So wurde in der Bohnau beispielsweise eine Brücke aus Sicherheitsgründen abgerissen und nicht wieder aufgebaut. „Sie war nicht von Bedeutung“, relativiert er und kommt auf den Zustand der Straßen zu sprechen. „Der Laie sieht nur die Oberfläche der Straße. Doch vieles liegt im Untergrund verborgen: Gas-, Wasser- und Abwasserleitungen, Kabel für Strom und Telekommunikation, und, und, und. Dabei sollen sie so liegen, dass die – dem Klimawandel geschuldet – vermehrt gepflanzten Bäume ihr Wurzelwerk ausbilden können“, zählt Günter Riemer das ganze „Kuddelmuddel“ auf und macht deutlich: „Eine Stadtstraße ist keine Landstraße.“ Letztere kommt mit einem Belag, Entwässerung und Markierung aus.
Geld allein helfe in diesem Fall nicht. „Solche Aufgaben lassen sich nicht mit angelesenem Halbwissen aus dem Internet bewältigen. Wir brauchen richtiges Wissen und somit fachliche Kompetenz“, so Günter Riemer. Während im Hochbauamt alle Stellen besetzt sind, sieht es im Tiefbauamt anders aus: Von drei Ingenieurstellen war lange Zeit nur eine besetzt, seit diesem Monat sind es 1,5 Stellen; von vier Technikerstellen sind drei besetzt.
Dazu kommt: weniger Personal und erhöhte Komplexität. „Wir haben mit schwierigeren Rahmenbedingungen zu tun, die einen erhöhten Kommunikations- und Abstimmungsaufwand mit sich bringen“, sagt Günter Riemer. Als Beispiel nennt er das Thema Breitband. Es gibt zig Anbieter, jeder verlegt sein Kabel nach Lust und Laune. „Die Rahmenbedingungen fehlen komplett. Wir Kommunen sind immer straßenweise unterwegs. Jetzt legt Anbieter A eine elf Kilometer lange Leitung von C nach D, und Anbieter B eine 55 Kilometer lange Leitung quer in der Stadt“, verdeutlicht er die Problematik. An jeder Kreuzung muss dann der Verkehr geregelt werden und die Stadt will in diesem Zug dann auch einen möglicherweisen schlechten Straßenbelag erneuern. „Der Abstimmungsaufwand ist enorm gestiegen weil die Dinge in vielen verschiedenen Händen liegen“, so seine Erfahrung.
Ein weiteres Problem des Personalmangels auch bei Firmen: „Wir merken als Stadt, dass es die planerische Vorarbeit nahezu nicht mehr in der erforderlichen Qualität gibt. Die fertige Planung entsteht erst auf der Baustelle“, wird er deutlich. Das war aus seiner Sicht absehbar. „Es sind 600 000 Geburten weniger im Jahr als beim geburtenstärksten Jahrgang 1964 mit 1,3 Millionen.“ Die Nachwuchssuche läuft, insbesondere im prekären Tiefbau. Im Fokus sind Bauingenieure im Bereich Infrastruktur- oder Projektmanagement. „Dazu reicht ein normales Grundverständnis der Ingenieurtätigkeit sowie komplexes Denken, Offenheit und der Wunsch, etwas zum Gelingen für die Gesellschaft zu leisten. Man kann kreativ und gestalterisch sein, etwas verantworten und am Ende feststellen, dass etwas funktioniert – und es funktioniert nach wie vor jede Menge“, stellt er klar, wenngleich ihm bewusst ist, dass es genügend vernachlässigte Infrastruktur gibt.
Der Personalkostenhaushalt ist ihm durchaus bewusst. „Es ist nicht einfach, das alles in das Gesamtgefüge einbringen zu können – es klemmt hinten und vorne“, sagt er auch im Blick auf den Bildungssektor. Das Berufsbild des Ingenieurs sei nicht mehr so hochattraktiv. „Studiengänge mussten zum Teil gecancelt werden weil es zu wenig Bewerber gab“, sagt Günter Riemer. Das spüre auch die freie Wirtschaft. „Wir haben schlichtweg einen Mangel.“ In Schulen könnte aus seiner Sicht in diese Richtung mehr gefördert werden, um Grundlagen für technische Berufe zu schaffen. „Zuvorderst sollten jedoch die Prozesse vereinfacht werden, um die Komplexität zu reduzieren – es ist ein Trauerspiel, dass in der Regel mindestens fünf Jahre vergehen, bis eine Planung umgesetzt werden kann. Was nötig ist, um handlungsfähig zu bleiben, lässt sich mit einem Wort ausdrücken: Bürokratieabbau.“