Kirchheim
Viele Tiere finden einen grausamen Tod auf der Straße

Natur In drei Jahren kam es auf dem kurzen Waldstück bei Nabern zu 30 Wildunfällen, davor waren es dank eines Zauns deutlich weniger. Jäger Thomas Doll wünscht ihn sich aus Tierwohlgründen zurück. Von Iris Häfner 

Er gibt nicht auf und kämpft weiter für einen Wildschutzzaun. Thomas Doll, einer der Jagdpächter des Naberner Reviers, musste seit Februar 2019 bereits zu 30 Wildunfällen ausrücken – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. 21 Rehe, drei Wildschweine, drei Dachse, zwei Füchse und ein Hase sind auf dem kurzen Waldstück zwischen Trimm-Dich-Pfad in Nabern und der aufgegebenen Gärtnerei beim Weilheimer Egelsberg in nur drei Jahren buchstäblich unter die Räder gekommen. Das „jüngste“ Opfer fand er zwei Tage nach dem Unfall, es hatte nur noch drei Beine. Ein Schuss erlöste das Tier von seinem Leid.

Wegen Forstarbeiten wurden die in den 1960er-Jahren erbauten Zäune links und rechts der Kreisstraße vor drei Jahren entfernt (wir berichteten). Auf einer Länge von rund 600 Metern verhinderten sie bis zum Frühjahr 2019, dass Wildtiere die Straße kreuzten. „Das hat Sinn gemacht, denn außerhalb des Walds ist die Sicht für die Tiere freier und damit übersichtlicher. Seit der Zaun weg ist, hat sich die Zahl der gemeldeten Wildunfälle vervielfacht – und nicht jeder Unfall wird gemeldet“, geht Thomas Doll von einer zusätzlichen Dunkelziffer aus. 

Corona hat die Situation des Wilds im Allgemeinen, in Nabern aber im Besonderen nicht verbessert. „Das hier ist ein kleiner Wald, insbesondere südlich der Straße. Spaziergänger mit und ohne Hund halten sich nicht an die Wege und schrecken das Wild auf, das dann flüchtet. Schnell sind dann Reh oder Wildschwein auf der Straße. Dazu kommen noch die Reiter und Radfahrer“, beschreibt der Jäger den hohen Druck auf das Wild.

 

Das ist vermeidbares Tierleid.
Thomas Doll
 

Ihm ist das Verhalten der Behörden unverständlich. Das betrifft nicht nur die Weigerung, den Zaun wieder aufzubauen. Dass ausgerechnet auf der kurzen Strecke im Wald keine Tempobeschränkung gilt, will ihm ebenfalls nicht einleuchten. Tempo 70 gilt bei der Kreuzung zur Ochsenwanger Steige und dann wieder beim Abzweig zum Egelsberg. Thomas Doll plädiert deshalb für die durchgängige Geschwindigkeitsreduzierung von 70 Stundenkilometern.

„Ein Präzedenzfall wird hier nicht geschaffen, sollten die Zäune aufgestellt werden. Ich jage auch auf Bissinger Markung und würde nie auf die Idee kommen, an der Ochsenwanger Steige Zäune aufzustellen. Auf der langen Strecke passieren weitaus weniger Wildunfälle als auf diesem kurzen Waldstück bei Nabern. Die Zahlen sprechen einfach für sich – und eine deutliche Sprache“, sagt der Jagdpächter.

Die Verkehrssicherungsmaßnahme, in deren Zuge die Bäume gefällt und die Zäune entfernt wurden, habe sich wegen der vermehrten Wildunfälle ins Gegenteil verkehrt. „Wenn ich von der Polizei angerufen werde, um das Wild zu finden und zu erlösen, muss ich nicht selten zuerst die Autofahrer beruhigen – vor allem Frauen –, ehe ich die elende Arbeit verrichten muss. Das ist vermeidbares Tierleid“, prangert er an. Es liege an der Definition Wildunfall. „Die gelten als Bagatellschäden und tauchen nicht in der Statistik auf, allein deshalb ist die kurze Strecke kein Unfallschwerpunkt“, so Thomas Doll.

Große Hoffnung auf einen Zaun kann er sich allerdings nicht machen. „Es gibt dazu nichts mehr zu sagen, es gibt keine neuen Erkenntnisse. Die Situation ist umfassend besprochen worden“, erklärt Thorsten König, Leiter des Straßenbauamts. Im Sommer 2019 gab es vor Ort eine Besprechung mit sämtlichen Amtsleitern und dem damaligen CDU-Landtagsabgeordneten Karl Zimmermann. Das Ergebnis: Die Zäune werden nicht wieder erstellt. Thorsten König ist für rund 1200 Kilometer Straße in den Landkreisen Esslingen und Göppingen verantwortlich, nirgendwo gebe es Wildzäune. Der Amtsleiter zeigt zwar Verständnis für den Jagdpächter, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass in dem Waldstück kein Zaun gebaut wird.

 

Hunderte von Tieren wurden seit rund 50 Jahren im Tiefenbachtal überfahren

Einen hohen Freizeitdruck beobachtet auch Frank Leuze in seinem Revier in Owen, insbesondere seit Corona. „Das Wild kommt einfach nicht zur Ruhe“, sagt er. Nachts sind im Wald nicht nur die Jäger unterwegs, sondern auch Jogger mit Stirnlampe und Radfahrer mit LED-Strahlern.


Einzige Möglichkeit, das Wild von der Straße abzuhalten, ist auch aus seiner Sicht ein langer Wildschutzzaun, wie er mancherorts an Autobahnen steht. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch da nicht, Wildschweine können sich durchgraben“, erklärt der Jagdpächter.


Hunderte Tiere sind in seinem Revier der Straße durch das Tiefenbachtal seit ihrem Neubau in den 1970er-Jahren zum Opfer gefallen, die Dunkelziffer kommt noch obendrauf. „Die Wildwechsel sind von alters her die gleichen, das ist fest bei den Tieren im Gehirn und in den Genen verankert“, erklärt Frank Leuze.


„Drastische Geschwindigkeitsreduzierung ist das Einzige, das gegen Wildunfälle hilft. Wer mit Tempo 70 auf ein 50 Kilo schweres Wildschwein trifft, wird das heftig merken. Ein Ausweichmanöver wäre eine schlechte Entscheidung – die würde an einem Baum enden“, rät der Jäger zum Festhalten des Lenkrads. Tempo 80 gilt auf der Strecke durchs Tiefenbachtal. An die blauen Wildwarnreflektoren an den Straßen-Leitpfosten habe sich das Wild mittlerweile gewöhnt, sie würden nur noch bedingt helfen. Akustische Wildwarner geben einen Pfeifton ab, mit dem die Tiere davon abgehalten werden sollen, über die Straße zu rennen. Durch das Licht beziehungsweise durch Fahrzeuggeräusche erkennt das Gerät herannahende Fahrzeuge. Blinklicht-Warnschilder „Wildwechsel“ haben zusätzlich gelbe      Blinklampen. Bei Dunkelheit schalten sie sich automatisch ein und sollen Verkehrsteilnehmer zu mehr Aufmerksamkeit anregen.


„Das Wild kann sich nicht vor dem Autoverkehr schützen. Der Autofahrer muss vor sich selbst geschützt werden. Bei Glatteis fährt auch keiner 180“, hofft Frank Leuze auf Einsicht. ih