Kirchheim
Vom Glück, in die Pedale zu treten

Integration Ein Fahrradkurs des Kreisdiakonieverbands bringt geflüchteten Frauen Mobilität, Unabhängigkeit und auch jede Menge Spaß. Von Karin Ait Atmane

Fahrradtrainerin Heike Schall (links) freut sich mit den Teilnehmerinnen. Alle haben an den vier Terminen das Ziel erreicht. Foto: Karin Ait Atmane

Meliha strahlt übers ganze Gesicht: Sie hat es mit dem Fahrrad quer über den Schulhof geschafft, ohne abzusetzen. Jetzt ist der Knoten geplatzt, und die 45-Jährige kann üben und üben, um mehr Sicherheit zu bekommen. Sie ist hochmotiviert, genau wie die sieben anderen Teilnehmerinnen, die den Fahrradkurs für geflüchtete Frauen belegt haben. Mit vier Kursterminen haben sie sich ein Stück Freiheit und Lebensqualität erobert.

„Auto und Fahrrad fahren“, das sei immer ihr Wunsch gewesen, sagt Safia, die vorsichtig bremst und kontrolliert aus dem Sattel steigt. Zumindest eins von beidem hat sie nun gelernt und auch gleich in der Bikebox des Arbeitskreises Asyl ein günstiges Rad erstanden. In Afghanistan, wo sie herkommt, war an so etwas nicht zu denken. Dort säßen „Frauen nur zu Hause“, sagt ihre Freundin Feiza, die als einzige der Kursteilnehmerinnen schon ein wenig Vorkenntnisse hatte. Sie begann mithilfe ihres Mannes zu radeln, als sie 2020 nach Deutschland kam, ließ es aber nach einem schmerzhaften Sturz wieder. Jetzt hat sie viel Sicherheit gewonnen, fährt morgens mit dem Rad zum Bahnhof und versucht sich auf dem Schulhof einhändig und sogar freihändig.

Premiere in Kirchheim

„Sie war unsere Motivatorin“, sagt Gisela Glasebach, die die Flüchtlingsarbeit beim Kreisdia­konieverband koordiniert und den Kurs organisiert hat. Den Impuls dazu gaben einige Frauen, die gerne mit ihren Familien radeln wollten. Ähnliche Angebote gibt es bereits in anderen Städten, in Kirchheim war es die Premiere – und sie war in kürzester Zeit, innerhalb eines Tages, ausgebucht. Die Teilnehmerinnen kommen aus Afghanistan, der Türkei und Syrien, die meisten sind Mütter. Alle tragen einen Helm und das Kopftuch passt problemlos drunter. Weil einige wieder absprangen, waren es statt der zunächst geplanten zwölf nur acht Frauen. Das erwies sich als gut: „Wir haben festgestellt, dass es am Anfang doch ganz viel Unterstützung braucht“, sagt Gisela Glase­bach. Deshalb ließ man trotz langer Warteliste keine Frauen nachrücken, sondern wird im Juli einen weiteren Kurs anbieten. Tatsächlich haben alle an den vier Kurstagen das Ziel erreicht. Einfach ist das nicht für Erwachsene. Beim ersten Mal wurde ein Kinderfahrrad mit abgeschraubten Pedalen als Laufrad eingesetzt, damit die Frauen sich zunächst auf die Balance konzentrierten. Manchen sei das unheimlich schwergefallen, erinnert sich Heike Schall, die den Kurs als Fahrradtrainerin leitet. Sie hätten kaum gewagt, die Füße vom Boden zu heben. Umso beeindruckender sind die Fortschritte. „Das hätte ich nie gedacht, dass sie das in vier Wochen schafft“, gesteht Schall, als eine Teilnehmerin noch etwas wackelig an ihr vorbeikurvt. „Es ist superspannend, sie haben einfach unfassbar Lust, das zu lernen.“

Sohn feiert Mamas Fortschritte

Mittlerweile fahren einige schon sicher und kontrolliert den aufgezeichneten Linien auf dem Boden nach. Das Bremsen habe sie von ihrem Sohn gelernt, berichtet Moutieh – er kam auch zu Kursterminen mit und hüpfte jubelnd, als seine Mama zum ersten Mal ohne Hilfe in die Pedale trat. Andere brauchen noch Starthilfe, und ab und zu wird’s im „Begegnungsverkehr“ eng, von lautem Kreischen und Lachen begleitet. Die Frauen haben einen Riesenspaß. „Ich freu mich so sehr“, sagt eine von ihnen.

Auch die Verkehrsregeln oder das Verhalten an einer Ampel sind angesprochen und in den verschiedenen Sprachen verteilt worden. Zwei der Frauen wollen am Ende der Übungsstunde gar nicht gehen. „Wenn ihr nächste Woche noch mal üben wollt, komme ich auch“, bietet Heike Schall ihnen an.

Info Im Juli bietet der Kreisdiakonieverband einen weiteren Kurs an. Ehrenamtliche, die die Frauen unterstützen möchten, sind willkommen. Kontakt: Gisela Glasebach, g.glasebach@kdv-es.de oder Mobiltelefon 01 57/34 85 30 19.