„Deutsche Pünktlichkeit finde ich super“, meint Akram Mohammad lachend. Und vergnügt pflichtet ihm seine Frau Kulestan Derwish bei, dass auch ihren kurdischen Landsleuten ein wenig mehr Verbindlichkeit bei Terminabsprachen guttun würde. „Deutschland ist ein tolles Land“, betont Akram, „hier gibt es Freiheit und Gleichheit.“ Nachdenklich setzt er hinzu: „In meiner Heimat war das anders.“
Seit acht Jahren lebt das Paar mit seinen drei Kindern in Deutschland. Berufliche Wertschätzung genießt Akram als Facility Manager bei einer Kirchheimer Hausverwaltung: „Mein Chef hat mich schon gefragt, ob er mich klonen lassen könnte, dann würde er mich ein zweites Mal einstellen.“ Kulestan kümmert sich um die Kinder. Insbesondere der elfjährige Jaan bedarf aufgrund seiner Behinderung intensiver Zuwendung.
Gewalt beherrschte den Alltag
Sieht man die fünfköpfige Familie so harmonisch in ihrem gemütlichen Wohnzimmer sitzen, fällt es schwer, sich die Entbehrungen und Gefahren vorzustellen, die hinter ihnen liegen. In Al-Hasakah, einer Stadt im kurdischen Teil Nordsyriens, hatte Akram einen Malerbetrieb. Kulestan führte einen Friseursalon. „Al-Hasakah war früher eine bevölkerungsreiche Stadt“, erzählt Akram von seiner Heimat, die im Grenzgebiet von Türkei und Irak liegt. „Aber durch den Krieg mussten sehr viele Menschen fliehen.“ Mit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien beherrschte plötzlich Gewalt den Alltag: „Wir trauten uns nicht mehr auf die Straße, jederzeit konnte man von einem Geschoss getroffen werden.“ Kampfhubschrauber kreisten über der Stadt und feuerten in die Häuser. Menschen starben oder verschwanden spurlos. Notgedrungen siedelte die Familie 2012 ins kurdisch autonome Erbil im Norden des Irak um. Doch auch dort wurde die Lage immer prekärer. Nicht zuletzt die medizinische Versorgung und die Verfügbarkeit von Medikamenten gestaltete sich zunehmend schwierig. Für den schwerbehinderten Jaan eine lebensbedrohliche Situation.
Ihre Heimat zu verlassen, fiel der jungen Familie schwer. Doch die Migration nach Deutschland war die einzige Perspektive, wieder ein menschenwürdiges Leben zu führen und den Kindern eine Zukunft zu bieten. Zunächst wollte Akram allein aufbrechen. Die Familie könne dann nachziehen, so seine Überlegung. Doch seine Frau war damit nicht einverstanden. Mit drei Kindern zurückzubleiben, kam für Kulestan nicht infrage: „Wenn wir aufbrechen, dann nur gemeinsam.“
Blicken sie heute auf ihre Flucht zurück, können die Eheleute kaum fassen, dass alles so gut geklappt hat. Lebensgefährlich war die Überquerung des Mittelmeers in einem überfüllten Schlauchboot. „Das Boot war für 30 Personen ausgelegt“, erinnert sich Akram. „Aber es saßen gut 50 Menschen drin“, ergänzt Kulestan. 1000 Dollar kassierten die Schlepper pro Kopf. Immerhin: Die damals nur wenige Wochen alte Tochter Avivan beförderten die großmütigen Menschenschleuser gratis. „Zwei Stunden und zehn Minuten dauerte die Bootsfahrt von Izmir nach Griechenland“ – das weiß Akram noch ganz genau.
Der „Sommer der Migration“ 2015 war in vollem Gange und so sorgte auf dem griechischen Festland das Flüchtlingshilfswerk der UNO für Unterstützung. Aufgrund der pragmatischen Haltung der damaligen deutschen Bundeskanzlerin war es der Familie möglich, innerhalb von zehn Tagen über die Balkanroute mit dem Zug nach Deutschland zu gelangen. Für ihre offene Migrationspolitik erntete Angela Merkel Anerkennung, aber auch Kritik.
Akram wertet die Entscheidung der Kanzlerin als beeindruckenden Akt der Menschlichkeit: „Für ihre Großzügigkeit sind wir Frau Merkel sehr dankbar.“ Überhaupt sprechen beide viel von Dankbarkeit und wissen fast nur Gutes über ihre Aufnahme in Deutschland zu sagen. Ob in Lichtenwald, Hepsisau oder Weilheim – auf sämtlichen Stationen, die nach Kirchheim führten, sind ihnen wohlwollende Menschen begegnet: „Wir haben überall Sympathie und Unterstützung erfahren.“ Über Generationen und kulturelle Unterschiede hinweg sind tiefe Freundschaften entstanden.
Sprachpraxis durch Ehrenamt
Neue Bande zu knüpfen war möglich, weil beide sofort begonnen hatten, Deutsch zu lernen, und rasch das solide Sprachniveau B1 erreichten. Und sollte es dennoch mal hapern, ist der Nachwuchs zur Stelle: „Unsere Kinder sprechen Deutsch mit schwäbischem Einschlag“, berichten sie schmunzelnd, „sie sind unsere besten Sprachlehrer.“
Auch sozialer Einsatz ist der Sprachpraxis förderlich: Kulestan ist ehrenamtlich im Jesinger Quartiersprojekt gegen Einsamkeit tätig. Sie betreut eine ältere Dame, leistet ihr Gesellschaft und besorgt den Einkauf. Ein gesellschaftliches Engagement ganz im Sinne ihres persönlichen Fazits zum eigenen Ankommen in Deutschland: „Wir haben so viel bekommen und möchten den Menschen in Kirchheim etwas zurückgeben.“
Angekommen
In einer Serie „Angekommen“ stellt der Teckbote geflüchtete Menschen aus Kirchheim vor, denen es gelungen ist, sich zu integrieren.
Ihre Lebenswege sind auch Thema der aktuellen Ausstellung „Wir.Gemeinsam!“. Sie ist noch bis Ende November im Kirchheimer Rathaus und anschließend im Kirchheimer Bürgertreff zu sehen. fs