Es war eine Premiere. „Das ist ja echt interessant“, sagte die sichtlich überraschte Landtagspräsidentin Muhterem Aras über die Location, der Bastion in Kirchheim. Eingeladen hatten die Frauen von den Grünen, der Abend fand im Rahmen der Frauenkulturtage 2018 statt. Sabine Bur am Orde-Käß, Fraktionsvorsitzende des Gemeinderats der Grünen, begrüßte prominente Gäste und zahlreiche Zuschauer.
Locker, offen und sympathisch plauderte die Landtagspräsidentin über ihre Lebensgeschichte, von den ersten Lebensjahren in Anatolien, die Zeit ohne Vater in der Türkei, weil er als Gastarbeiter nach Deutschland ging und später seine Familie nachholte. Weiter sprach sie über ihre erste Zeit in Deutschland, ihren Werdegang und ihren Ehrgeiz. Interviewt wurde sie dabei von Andreas Schwarz, dem örtlichen Landtagsabgeordneten und Fraktionsvorsitzenden der Grünen im baden-württembergischen Landtag. In dem politischen Talk ging es um Aras‘ politischen Werdegang, ihr ehrenamtliches Engagement, ihre verantwortungsvolle Aufgabe als Landtagspräsidentin und die damit verbundenen Vorstellung, wie Demokratie und Parlament greifbar gemacht werden könnten.
Die Geschichte von Muhterem Aras zeigt, dass Märchen wahr werden können. Vieles geht von der eigenen Einstellung und dem Mut aus, neue Wege zu gehen. Das Publikum hing förmlich an den Lippen von Aras, es wurde gelacht, aber es gab auch nachdenkliche Momente. Die 52-jährige Politikerin kam mit 12 Jahren nach Deutschland, ohne die Sprache zu kennen. Die Familie, der es in der Türkei wirtschaftlich gut ging, hatte Probleme mit den patriarchalischen Strukturen der Großfamilie des Vaters. Aras erzählt, wie es für sie war, das erste Mal eine Frau am Steuer zu sehen - das gab es so nicht in der Türkei. Die heutige Landtagspräsidentin ist sichtlich dankbar für die Hand, die ihr damals gereicht wurde und die sie und ihre fünf Geschwister dankend annahmen. Die Eltern unterstützten ihre Kinder von Anfang an, sie waren offen und Bildung stand für sie an erster Stelle. Vielleicht auch, weil ihre Mutter Analphabetin ist.
So schloss sie die Schule erfolgreich ab, studierte Wirtschaftswissenschaften und gründete 1999 die erste türkische Steuerberatung in Süddeutschland. „Man muss bodenständig sein - schwäbisch halt“, gab Aras zu bedenken, als Andreas Schwarz darauf verwies, dass sie bei der letzten Landtagswahl das beste Ergebnis aller Abgeordneten in Baden-Württemberg bekommen hat. Wichtig für ihre politische Entwicklung: die kommunale Ebene. Der Gemeinderat habe ihr beispielsweise geholfen zu lernen, wie man sich Mehrheiten verschafft. „Entscheidend ist, was man zwischen den Wahlen macht. Man muss sich Argumente anhören, abwägen und dann entscheiden. Die Leute wollen nicht, dass man ihnen nach dem Mund redet.“ Sie selbst war von 2007 bis 2011 Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Stuttgarter Gemeinderat.
Sie sprach aber auch über die Rolle der Frau und dass es nicht immer einfach sei. Beispielsweise waren viele überrascht, als sie sechs Wochen nach der Geburt ihres Sohnes bereits wieder in den Gemeinderat kam. Bürgerlich, menschennah, dem Grundgesetz verpflichtet und dankbar, in einer Demokratie zu leben, das ist es, was der Politikerin wichtig ist, das möchte sie auch den Menschen beibringen. Sie möchte das Parlament öffnen und den Bürger mitnehmen. Dabei ließ sie aber auch durchschimmern, dass es sie beschäftigt, dass sich so viele Menschen von der Politik abwenden. Sie sprach auch über die Herausforderung der neuen Konstellation im Landtag und ihre neue Funktion. „Das ist das schönste Amt, was man in diesem Land haben kann“, antwortete Aras auf die Frage von Andreas Schwarz, ob sie sich das so vorgestellt hat. Dennoch fügte sie nachdenklich hinzu, dass die neue Konstellation deutlich schwieriger sei. „Die Verwaltung hat enormes geleistet, gerade in dieser Periode, mit den vielen Anfragen und Anträgen, die es so noch nie gegeben hat, der Fraktionsabspaltung, der Zusammenführung, dem Ausschluss von Abgeordneten und vielem mehr.“
Muhterem Aras blühte förmlich auf, als es um eines ihrer Kernvorhaben ging: die Stärkung des Parlamentarismus. Im letzten Wahlkampf hat sie festgestellt, mit Blick auf die Wandlung in der Welt, dass es uns in Deutschland gut geht, auch wenn wir Probleme und Herausforderungen haben. „Wir haben Menschenrechte, haben Grundwerte, die im Grundgesetz verankert sind, die Gleichberechtigung, das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen.“ Öffnen will sie das Parlament, indem sie auf die Menschen zugeht. Ihr ist es wichtig, nicht nur mit „wichtigen Persönlichkeiten“ Kontakt zu haben, sondern mit ganz normalen Menschen - sie nimmt sich Zeit für Gespräche. So auch an diesem Abend, der mit einer Fragerunde endete, in der es unter anderem um das viel diskutierte Wahlrecht, den Föderalismus, die politikmüde Jugend, die Bundespolitik und viele weitere Themen ging.