Das „Gemeindewohnzimmer“ hineinnehmen ins Wohnzimmer der Leute will Günter Öhrlich, Pastor der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Kirchheim. Was schon lange als Idee im Raum stand, ist nun in Windeseile wegen der Corona-Krise und den damit einhergehenden verwaisten Gotteshäusern innerhalb kurzer Zeit mit tatkräftiger Unterstützung junger engagierter Kräfte in die Tat umgesetzt worden: Podcast-Gottesdienste.
Alte, gestapelte Apfelkisten sind die bescheidene Deko, jede Einzelne ist mit einer Elektroleuchte bestückt - eine dient als Tisch. Zwei Stühle stehen auf einem Teppich, eine üppige Palme dient als grüner Hintergrund für das Lobpreis-Duo, das schlichte Holzkreuz schmückt eine Dornenkrone. Das bekommen all diejenigen zu sehen, die die beiden Pastoren Günter Öhrlich und Paul Kohnle zur gewohnten sonntäglichen Gottesdienstzeit hören und sehen wollen. Live ist es nicht. „Wir nehmen alles am Freitag oder Samstag auf“, verrät Günter Öhrlich. Zwei Kameras sorgen für zwei Blickwinkel, der Ton wird extra aufgenommen. „Für uns ist das total ungewohnt. Wir predigen in den leeren Raum hinein“, sagt Günter Öhrlich. Ihm fehlt die Interaktion mit der Gemeinde. In der Regel sind rund 350 Gläubige im Saal. „Es ist ein Kaltstart. Wenn die Techniker sagen ,Kamera läuft‘ und ,Ton läuft‘, klatschen wir in die Hände, zählen 21,22 - und dann geht‘s los“, erzählt der Pastor. In die kalte Linse zu predigen, sei etwas ganz anderes als zur Gemeinde. Es kommt keine Regung, keine Reaktion zurück. Anders Paul Kohnle: „Ich bin ein stückweit im Tunnel, blende rechts und links aus. Wenn ich predige bin ich fokussiert und konzentriert“, so der 27-Jährige.
„Wie alle anderen Kirchen auch sind wir von der Entwicklung überrollt worden“, sagt Günter Öhrlich. Er kann trotz allem den Coronazeiten etwas Positives abgewinnen. „In jeder Krise steckt eine Chance. Wir haben das innerhalb von einer Woche mit den Podcast-Gottesdiensten auf die Beine gestellt. So können wir die Hoffnungsbotschaft in die Teckregion reinbringen. Neben aller Einschränkung ist die Reichweite eine enorme Chance“, freut er sich. Der erste Gottesdienst schaffte es auf rund 1500 Klicks, mittlerweile pendelt es sich auf 800 bis 900 ein. Dazu kommt, dass oftmals die komplette Familie vor dem Bildschirm sitzt.
Aber nicht alle Gemeindemitglieder haben Internetanschluss, insbesondere die Senioren. Doch auch dafür gibt es unkomplizierte, pragmatische Lösungen: Der 92-jährige Theo hört die Predigt via Telefon mit. Freunde stellen ihres einfach vor den Lautsprecher, sodass der Senior die frohe Botschaft des Pastors hören kann.
Stolz ist Günter Öhrlich auf das junge Technikteam, ohne dessen Hilfe das Projekt nicht zu stemmen gewesen wäre. Eine Woche hat es dazu gebraucht. Erik Hartmann und Timon Öhrlich sind hier die entscheidenden Köpfe. Sie entstammen dem Kreativteam, das sich seit rund einem Jahr mit Fotografieren, Filmen und Schneiden beschäftigt. „Ohne die zwei wüsste ich nicht, wie das gehen soll - es funktioniert, weil sie nicht in die Schule dürfen“, gibt der Pastor unumwunden zu. Die beiden sind hochmotiviert. „Die bleiben so lange wach, bis alles stimmt. Notfalls skypen sie bis nachts um drei“, sagt Günter Öhrlich. Sie „fitzeln“ die Ton- und Filmsequenzen zusammen, blenden die Liedtexte zu den Lobpreisliedern ein.
„Für uns ist das alles Neuland. Wie lange das noch so geht, ist offen“, erklärt Günther Öhrlich. Er und sein Kollege vermissen ihre Gemeinde. „Ein wichtiges Standbein ist unser Stehcafé, das nach dem Gottesdienst stattfindet. Da geschieht viel in Bezug auf das Gemeindeleben und die Gemeinschaft - insbesondere für die, die allein leben“, ist sich Günter Öhrlich bewusst. Dazu zählen auch rund 40 Migranten. „Für viele bricht zur Zeit enorm was weg. Die Begegnung mit anderen Menschen ist ein hoher Wert“, sagt der Pastor.