Demokratie
Vor der Bundestagswahl: Frust bei deutschen Wählern im Ausland

Manche Menschen dürften morgen wählen, tun es aber nicht. Andere würden gerne, können aber nicht, weil die Unterlagen zu spät angekommen sind. Eine Kirchheimerin, die in Großbritannien lebt, berichtet.

Am Sonntag wird ausgezählt.      Archiv-Foto: Markus Brändli

Einen Tag vor der Bundestagswahl ist die Anspannung bei vielen Menschen groß. Bei Nina Gerstenberger schwankt die Gefühlslage zwischen Wut und Frustration. Der Grund: Die Kirchheimerin, die seit 22 Jahren in Großbritannien lebt, weiß, dass sie keine Chance mehr hat, an der Wahl teilzunehmen. Die Briefwahlunterlagen, die die Stadt Kirchheim am 10. Februar an sie versandt hat, sind erst am Freitagabend bei ihr angekommen.

 

Mir geht es um mein demokratisches Recht, an der Wahl teilzunehmen.

Nina Gerstenberger, Kirchheimerin im Ausland  

 

Bereits Anfang Januar, als bekannt wurde, dass es vorgezogene Wahlen geben wird, habe sie sich bei der Stadt Kirchheim gemeldet und Briefwahl beantragt, sagt sie. Jetzt denkt sie darüber nach, sich nach der Wahl an einer Sammelklage gegen den Bund zu beteiligen, denn bekanntlich geht es aktuell vielen der rund drei bis vier Millionen Deutschen so, die im Ausland leben.

„Mir geht es um mein demokratisches Recht, an der Wahl teilzunehmen. Wenn das nicht gewährleistet ist, muss man sich wehren“, findet Gerstenberger. Es sei ein Armutszeugnis, dass Deutschland nicht in der Lage sei, die Teilnahme aller an der Wahl zu organisieren.

Nina Gerstenberger lebt seit 2003 in Großbritannien. Foto: pr

Der Stadt Kirchheim macht Nina Gerstenberger keinen Vorwurf. „Die Fristen waren zu knapp. Es war nicht genügend Puffer da“, weiß sie. Tatsächlich hatte Gunnar Brenner, der bei der Stadt Kirchheim Wahlen organisiert, bereits im Januar im Teckboten vorhergesagt, dass es mit der Briefwahl aus dem Ausland eng werden könnte. Laut Brenner gibt es in Kirchheim 108 sogenannte Auslandsdeutsche, deren letzter deutscher Wohnsitz Kirchheim war und die sich ins Wählerverzeichnis haben eintragen lassen. Dazu eine nicht bekannte Zahl von Menschen, deren Wohnsitz Kirchheim ist, die sich aber temporär oder dauerhaft außerhalb der Teckstadt aufhalten und auf Antrag per Briefwahl ihre Stimmen abgeben können.

Insgesamt 27.900 Menschen sind es, die in Kirchheim an der Bundestagswahl teilnehmen dürfen. Bis Donnerstag seien rund 8000 Briefwahlanträge eingegangen, so Gunnar Brenner.

Die Stimmzettel hat die Stadt Kirchheim früher erhalten als erwartet, nämlich am 3. Februar. „Alles, was Ausland war und wovon wir schon vorher wussten, haben wir prioritär bearbeitet. Die Unterlagen gingen am 4. Februar raus“, sagt Gunnar Brenner. Dass es nun Menschen gibt, die ihr Wahlrecht nicht ausüben können, tut ihm leid. Aus seiner Sicht hätten mehr als 14 Tage eigentlich ausreichen müssen, um von Kirchheim an den ausländischen Wohnort und wieder zurück zu gelangen. Allerdings weiß auch Brenner, dass auf die Post – sowohl im Inland als auch im Ausland – nicht immer Verlass ist. „Wir als Stadt verschicken die Unterlagen per Luftpost. Wer bereit ist, das zu bezahlen, hätte natürlich per Express rückversenden können“, sagt er. 

Ob die Briefwahlunterlagen im Ausland rechtzeitig angekommen sind, weiß Brenner nicht. Es kämen immer wieder Beschwerden, sagt er. Wer die Unterlagen rechtzeitig erhält, meldet sich hingegen in der Regel nicht. Was aus dem Ausland zurückkommt, fließt bei den Briefwahlunterlagen mit ein. „Wir erfassen den Rücklauf nicht separat“, sagt er. Deshalb wird er auch in der kommenden Woche nicht wissen, wie viele Auslandsdeutsche tatsächlich ihre Stimmen abgegeben haben.

Das Auszählen gehört bei der Bundestagswahl noch zu den einfacheren Übungen. Schließlich darf „jeder nur zwei Kreuze“ machen.      Archiv-Foto: Markus Brändli

Nina Gerstenberger sagt, dass sie bisher an jeder Wahl in Deutschland teilgenommen hat, mit Ausnahme einer Landtagswahl, „weil auch da die Unterlagen zu spät angekommen sind“. Die 43-Jährige, die als Content Producer im News-Bereich der britischen BBC arbeitet, ist 2003 aus Deutschland weggegangen, hat aber das Interesse an deutscher Politik nie verloren. Familie und Freunde leben in Deutschland, der Vater ist kommunalpolitisch aktiv. Dass sie bei dieser Bundestagswahl nicht abstimmen darf, empfindet sie als besonders bitter, „weil die Demokratie auf der Kippe steht“. An alle Menschen, die noch unentschlossen sind, appelliert sie: „Geht wählen! Macht von eurem demokratischen Recht Gebrauch.“