Im Film geht es immer um eine Reise. Sie kann, wie bei „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ um die halbe Welt führen und am Ende gar noch in eine Zeitreise münden, die dem perfekt in Altgriechisch parlierenden Archäologen eine Begegnung mit Archimedes verschafft. Es kann sich auch, wie in allen
Eberhofer-Filmen, um eine Reise handeln, die einmal aus Niederkaltenkirchen hinaus- und dann nach mehreren Kreiselrunden wieder zurückführt, auf den Hof der Familie. Mitunter ist die Reise auch eine Taxifahrt durch Paris – wenn die Passagierin Madeleine heißt und mit 92 Jahren auf ärztliches Anraten ins Altenheim ziehen soll.
Immer handelt es sich bei den Reisen um Lebensreisen, und immer geht es dabei um das Leben in allen Facetten und Stadien – von der Kindheit und der Jugend bis hin zum Alter und zum Verfall. Eine komplette Lebensbeichte legt Madeleine im Taxi ab, und nicht nur das: Sie bringt auch den anfangs verstockten Chauffeur Charles dazu, sich zu öffnen und sich an frühere Phasen in seinem eigenen Leben zu erinnern.
„Im Taxi mit Madeleine“ ist der perfekte Sommernachtskinofilm, um ihn im Gottesdienst auf dem Martinskirchplatz zu behandeln. Pfarrer Axel Rickelt von der evangelischen Stadtkirchengemeinde stellte die „Kraft des Zuhörens“ in den Mittelpunkt. Der Zuhörer schlechthin ist zunächst die Filmfigur Charles. Letztlich aber sind alle im Publikum Zuhörer. Madeleine tut es gut, dass sie ihre Geschichte erzählen kann und dass jemand zuhört. Notfalls würde sie sich ihre Geschichte auch selbst erzählen. Es ist ein schonungsloser Rechenschaftsbericht – ohne den Druck zur Rechtfertigung.
Barmherzig aufs eigene Leben blicken
Axel Rickelts Fazit: „Madeleines Haltepunkte in Paris, die sie an ihr Leben erinnern, sind nicht erbaulich. Trotzdem ist sie nicht verbittert. Sie hat den Schalk im Nacken.“ Ihre Resilienz, also ihre Widerstandsfähigkeit gegen die extremen Widrigkeiten des Lebens, ist beeindruckend und vorbildlich: „Sie ist in der Lage, ihr Leben anzunehmen, ohne sich zu beklagen.“ Dabei hätte sie allen Grund dazu: Die Szene, in der sie Selbstjustiz an ihrem Mann übt, nachdem er sie vergewaltigt und ihren Sohn geschlagen hat, bezeichnete Axel Rickelt als „erschreckend“. Noch erschreckender aber sei das Tribunal, das sie – ohne jedes Verständnis für ihre Notlage – zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Trotzdem geht Madeleine barmherzig mit sich und ihrer Lebensgeschichte um, und sie überträgt diese Einstellung auch auf Charles. Nicht zuletzt sollte sie diese Einstellung idealerweise auf das ganze Publikum übertragen.
Der Kinofilm soll als moderne Form des Theaters nach wie vor – sofern es sich nicht um eine reine Zeitvertreibs-Action-Komödie handelt – Mitleid und Furcht erregen, wie es Aristoteles in seinem Konzept der Katharsis, also der Reinigung der Seele, vor mehr als 2000 Jahren definiert hat. Die Predigt zum Film half dieser Erkenntnis noch einmal deutlicher nach, als es vielleicht das eigene Nachdenken schon getan hat.
Weil noch ganz andere Dinge Leib und Seele zusammenhalten, gab es im Anschluss an den Gottesdienst die Einladung zum Weißwurstfrühstück hinter der Kirche. 300 Weißwürste und 400 Brezeln reichten nicht für alle: Am Ende der Schlange gab es einige wenige lange Gesichter – auch weil sich nicht alle Gäste an die Vorgabe hielten, nur mit einer Wurst und einer Brezel vorlieb zu nehmen. In diesen Fällen wurde dem Leib eindeutig der Vorrang gegenüber der Seele eingeräumt.
Trotzdem wertet Kinobetreiber Reimund Fischer zur Halbzeit der Saison 2023 auch den Frühschoppen als vollen Erfolg: „Das Weißwurstessen ist eine zusätzliche Bereicherung. Dadurch sind wir als Sommernachtskino gemeinsam mit unseren Sponsoren noch ein Stück fester verankert in der Kirchheimer Stadtgesellschaft.“
Die Zusammenarbeit mit Kirche und Sponsoren lobt Reimund Fischer auch beim Kinderprogramm – wo dieses Mal die Kreissparkasse den Manfred-Henninger-Saal zur Verfügung gestellt hat, weil die Martinskirche als „Vorführsaal“ wegen der Renovierung nicht zur Verfügung stand: „Der Zustrom war so groß, dass wir leider nicht alle Kinder mit Stühlen oder mit Popcorn versorgen konnten.“
Was ihn besonders freut: „Für viele Menschen ist unser Open-Air-Kino ein fester Bestandteil des Sommers. Manche passen sogar ihren Urlaub ans Filmprogramm an.“ Und: „Selbst bei durchwachsenem Wetter kommen die Menschen zu uns und halten durch, bis der Film zu Ende ist.“ Auch das ist eine Form der Resilienz.
900
Zuschauer an einem Montagabend – das ist außergewöhnlich. Wenn aber Indiana Jones am Rad des Schicksals dreht, kann das durchaus dazu führen, dass so viele Menschen bis nach Mitternacht gebannt auf die Sommernachtskino-Leinwand schauen.