Hier ein Blümchen, dort ein Händedruck, nebenbei ein Wortwechsel - alles öffentlich auf dem Marktplatz. Das war einmal. Öffentlich sind allenfalls Plakate, die wie Kraut und Rüben überall hängen, mehr Köpfe als Botschaften. Was früher einmal den Begriff „Wahlkampf“ verdiente, findet in Corona-Zeiten online statt. Wer dabei sein will, muss sich meist vorab einwählen und Fragen schriftlich formulieren.
„Wir erreichen erstmals auch Leute, die nicht zu Präsenzveranstaltungen gehen, etwa junge Eltern“, sieht Andreas Schwarz, Abgeordneter und Kandidat der Grünen, immerhin einige Vorteile. Vom heimischen Sofa aus kann man sich gut informieren. Fast alle Parteien diskutieren ausgiebig mit eloquenten Experten.
Streitthemen nicht weichgespült werden.
Sachlich, aber ohne Pfeffer. „Digital gibt es keinen echten Schlagabtausch.“, bedauert Schwarz. Auch die Stimmung intern sei eine andere, hat er als langjähriger Politikmacher bemerkt: „Echtes Wahlkampffeeling entsteht an Ständen, bei Aktivitäten, bei Radtouren.“ Dieses Bindeglied zu den Mitgliedern und den Wählern fehlt. Schwarz selbst ist dennoch im Wahlkampfmodus, versichert er. Kein Wunder, die Ankündigung des Ministerpräsidenten, seiner erkrankten Frau zuliebe etwas kürzer zu treten, hat dem Fraktionsvorsitzenden Zusatztermine auf Podien mit Spitzenkandidaten beschert.
Auf anderen Bühnen glänzt üblicherweise Andreas Kenner. Der Abgeordnete sowie Kandidat der Sozialdemokraten füllt nicht nur mit Politik, sondern auch mit „Kenner trinken Württemberger“ größere Veranstaltungsräume. Kein Wunder also, dass er die Mini-Präsenzveranstaltungen allenfalls als „schalen Ersatz“ empfindet für das, was möglich gewesen wäre: „Online ist gar nicht emotional.“ Ihm kommt es trotz etlicher Aktivitäten im Netz komisch vor, in eine Kamera zu reden und keinen Applaus vom Publikum, kein Raunen, einfach nichts zu hören.
große Säle füllen kann.
Als Optimist versuche er, das Beste daraus zu machen. Beispielsweise habe der beim Flyer verteilen in Lenningen gezielt nach dem dortigen Problem mit dem Laubholzinstitut gefragt. „Du musst Corona auch mal abhaken“, meint Kenner und sieht viele politische Themen gerade zu kurz kommen, auch im direkten Gespräch, denn: „Demokratie gehört auf den Markt.“
Auch Dr. Natalie Pfau-Weller fehlt der Kontakt. Sie setzt auf kleine Wahlkampfstände, stellt aber fest, dass man nicht so gut mit den Menschen, die mit Masken vorbeihasten, ins Gespräch kommt. Etwas eher nehmen Bürger da schon die Möglichkeit ihrer Telefonsprechstunde wahr. Bei Online-Podiumsdiskussionen vermisst sie die Lebendigkeit. Auf ein Argument zu reagieren sei fast nicht möglich: „Bis man endlich dran ist, ist das Thema schon vom Tisch.“ Mit eigenen Online-Formaten hat sie schon viel Erfahrung gesammelt und erkannt, dass auch hier in der Kürze die Würze liegt. Man müsse quasi das Format umdrehen und ganz bewusst das Online-Publikum einbinden. Dennoch erreiche man nur denjenigen, der eh schon die entscheidende Hemmschwelle überwunden hat, sich überhaupt anzumelden.
„Die soziale Interaktion fehlt uns allen in der Pandemie“, sieht FDP-Kandidat Ralph Kittl keinen Unterschied zwischen Politik und Gesellschaft. Natürlich gehe alles viel nüchterner zu, räumt er ein, erkennt darin aber Vorteile: „Es geht um die Sache.“ Kollegen und Bürger würden ihn durchaus auf politische Themen ansprechen, so dass er nicht den Eindruck hat, Politik sei fernab von Corona kein Thema. Auch die Weichen für eine hohe Wahlbeteiligung seien gestellt: „Wir haben das starke Instrument der Briefwahl.“
Aktionen vor Krankenhäusern und Werkstoren hatte die Linke geplant. „Wir wollen nah an den Menschen sein“, begründet Kandidat Hüseyin Sahin, der seine Partei ohne Öffentlichkeit benachteiligt sieht. „Unsere Online-Veranstaltungen laufen gut, erreichen aber vor allem ohnehin schon Interessierte“, bilanziert auch er. Jetzt will die Partei verstärkt durch Flyer wahrnehmbar werden, die sie in Briefkästen steckt. Obwohl die Linke durch das Stadträteduo in Kirchheim stark vertreten ist, sei es schwer, diesen Zuspruch auf die Landtagswahl zu übertragen.
„Der Gesamteindruck eines Kandidaten ist sehr wichtig, und dafür muss man sich in der Öffentlichkeit präsentieren können“, betont Christoph Deutscher, der für die AfD kandidiert. Seine Partei setze daher, wo immer es geht, auf Infostände und habe auf dem Kirchheimer Postplatz schon gute Erfahrungen gesammelt, auch wenn die Maske Distanz schaffe. „Wir wollen uns, die neuen Personen und unser Parteilogo zeigen“, macht Deutscher klar.
Kommentar: Im Netz gefangen
Stell Dir vor, es ist Wahlkampf – und keiner merkt‘s. So ähnlich ist die Situation. Die hiesigen Landtagskandidaten mühen sich wahrhaftig. Da gibt es Fragerunden zu Kultur, Sport und Wirtschaft, die für brechend volle Gaststätten sorgen und jede Menge Gesprächsstoff liefern würden – fänden sie nicht ohne Publikum im Netz statt. Auf Diskussionen tauschen sich Fachleute und Minister aller Genres aus, die man gern mal live erleben würde – aber nicht im Stream. Höhepunkte sind üblicherweise Podiumsdiskussionen, bei der die Bewerber aufeinandertreffen und zeigen, wie sie sich in der Öffentlichkeit schlagen. Einige haben schon stattgefunden, weitgehend unbemerkt. Es ist längst Wahlkampf, und keiner merkt‘s.
Coronabedingt kann der Wahlkampf gar nicht anders als online stattfinden. Das ist übel. Vom frischen Atem der Demokratie, der sonst vor Wahlen durch die Stadt weht und am Wahltag im Besuch des Wahlbüros gipfelt, ist nichts zu spüren. Wenn man mal jemanden beim Bäcker trifft, schimpft man allenfalls hinter der Maske über Corona. Zu spontanen politischen Diskussionen kommt es nicht. Wo auch und mit wem? Politiker kennenlernen in der Fuzo? Höchstens zufällig. Und ins Netz loggen sich überwiegend die üblichen Verdächtigen ein. Die, die eh schon wissen, wen sie wählen.
Alles Schwarzmalerei? Schön wär‘s. Die OB-Wahlkämpfe in der Landeshauptstadt und im benachbarten Göppingen im Jahr 2020 haben gezeigt, wie wenig ein Internetwahlkampf die Wähler hinterm Ofen vorlockt. Dabei ging es in beiden Fällen um die Wurst, im Endeffekt wurden Richtungswechsel gewählt – in Stuttgart mit nicht gerade berauschender und in Göppingen mit mickriger Wahlbeteiligung. Da war auch Wahlkampf und keiner hat‘s gemerkt.
Politik braucht die Öffentlichkeit, den Diskurs und im Wahlkampf ganz besonders auch den Kontakt mit dem Wähler. Plakatschlachten und Online-Termine schaffen es nicht, das beglückende Gefühl echter Mitbestimmung zu vermitteln. Der Landtagswahlkampf ist im Netz gefangen. Bleibt zu hoffen, dass wir Bürger am 14. März trotzdem kenntnisreich wählen – egal ob per Brief oder an der Urne.