Warum soll ich für etwas zahlen, das ich kaum nutze? Diese Frage stellen sich immer mehr Kirchenmitglieder. Natürlich ist die Kirchensteuer mehr als eine inoffizielle Eintrittskarte in die Häuser Gottes. Ein Teil der Gelder wird für gemeinnützige Zwecke, wie Auslandshilfe, Bildung oder Sozialarbeit, eingesetzt, weshalb Kirchenmitglieder durch das Zahlen der Steuer indirekt auch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Nichtsdestotrotz ist die zusätzliche Zeile auf der Gehaltsabrechnung einer der meistgenannten Gründe für den Kirchenaustritt.
Die Kirchensteuer ist aus unserer Sicht ein Relikt.
Sebastian Bugs, Mitglied im Leitungskreis der Kfm und Pfarrer der Thomaskirche
Dass die Kirchensteuer jedes Jahr zahlreiche Mitglieder vergrault, beobachten auch Sebastian Bugs, Pfarrer der Kirchheimer Thomaskirche, und der Reichenbacher Prädikant Andreas Hollatz. Besonders oft seien es junge Menschen ohne engen Draht zur Gemeinde, die den ersten Gehaltsscheck zum Anlass nehmen, sich rechtlich von der Kirche loszukoppeln.
Vor diesem Hintergrund fordert der Gesprächskreis „Kirche für morgen“ (Kfm), der in der Württembergischen Landessynode aktuell mit zwölf Mitgliedern vertreten ist, die Kirchensteuer in den Ruhestand zu schicken und das Finanzierungssystem der Kirche von Grund auf zu reformieren. Die Idee der Bewegung: flexible Mitgliedsbeiträge, die von den Gemeinden selbst erhoben und verwaltet werden.
Ein System mit Ablaufdatum
„Die Kirchensteuer ist aus unserer Sicht ein Relikt“, verkündet Sebastian Bugs, der im Leitungskreis der Initiative sitzt. Diese Haltung begründet der Theologe nicht nur durch den Anreiz zum Kirchenaustritt, den die Steuer liefert: „Das System, wie es jetzt ist, hat ein Ablaufdatum“, stellt er klar. Denn: Mit schwindenden Mitgliedszahlen schrumpft auch die Summe in der Kirchenkasse. Arm ist die massive Institution Kirche deshalb noch nicht. Wie Sebastian Bugs zu bedenken gibt, sei jedoch davon auszugehen, dass weiterhin fleißig Mitglieder abspringen. Gehe es in dieser Geschwindigkeit weiter, sei die Kirchensteuer in ein paar Jahrzehnten schlichtweg nicht mehr tragfähig.
Die Menschen, die im Oberkirchenrat aktuell Prognosen machen, sind in 60 Jahren nicht mehr da, um dafür gradezustehen.
Andreas Hollatz, Prädikant und Kfm-Mitglied
„Wir müssen uns an die Gegebenheit anpassen“, stimmt Andreas Hollatz zu. Der Prädikant, der selbst Teil der Kfm-Bewegung sowie Gemeinderatsmitglied in Reichenbach ist, warnt davor, sich auf Bekanntem auszuruhen. „Die Menschen, die im Oberkirchenrat aktuell Prognosen machen, sind in 60 Jahren nicht mehr da, um dafür gradezustehen.“
Das Vertrauen in die Institution Kirche bröckelt und mit ihr die Zuversicht, dass die Kirchensteuer zweckmäßig eingesetzt wird. „Die Leute sehen von ihrem Geld nichts“, argumentiert Sebastian Bugs. Die Auswahl kirchlicher Angebote sei – oft aus Kostengründen – merklich kleiner geworden, und auch das Fundament der Bindung zwischen Gemeinde und Mitgliedern sei ins Wanken geraten. Wenn sich das Geld monatlich scheinbar in Luft auflöst und die Verbundenheit fehlt, fällt der Austritt nicht schwer.
Einen weiteren Knackpunkt sieht Sebastian Bugs in der „Starrheit“ des Systems. „Acht Prozent der Einkommenssteuer sind nicht verhandelbar“, meint der Pfarrer. „Und auch ein recht hoher Betrag“, ergänzt Andreas Hollatz. Gerade für finanziell gut gestellte Menschen kommen monatlich happige Summen zusammen.
Dass es keine funktionalen Alternativen zur starren Steuer gibt, halten die beiden für Unsinn. Schließlich finanziere sich der Großteil der Kirchen im Ausland auch nicht via Steuer. Und selbst in Deutschland gäbe es bereits freikirchliche Gemeinden, die ihre Kosten durch Mitgliedsbeiträge stemmen.
Gemeinde- statt Kirchenmitglied
Doch wie könnte ein alternatives System praktisch aussehen? Wird die Idee der Kfm durchgesetzt, fällt anstelle der Kirchensteuer ein monatlicher Mitgliedsbeitrag an, durch den der oder die Zahlende Mitglied in einer ausgewählten Gemeinde wird. Eine solche Mitgliedschaft kommt mit denselben Rechten, die aktuell durch die Mitgliedschaft im Dachverband Landeskirche garantiert werden. Dazu zählen zum Beispiel das Anrecht auf eine kirchliche Hochzeit oder Beerdigung und das Recht darauf, Taufpate oder -patin zu werden.
Statt bei der Landessynode zu landen, wandert das Geld in diesem System direkt zur Gemeinde, die eigenständig über die Anwendung entscheidet. Ob es sich bei dem Mitgliedsbeitrag um einen Festbetrag oder eine flexible Summe handelt, sei jeder Gemeinde selbst überlassen.
Komplett ausgereift ist der Plan der Kfm aber noch nicht, gesteht Sebastian Bugs. Die Details könne man dann im Rahmen einer synodalen Diskussion ausarbeiten. Ob der Enthusiasmus der Kfm von anderen Initiativen der Landessynode geteilt wird, bleibt abzuwarten. Denn: Eine solche Reform würde zweifellos mit vielen Austritten aus der übergeordneten Landeskirche einhergehen. „Da werden wir natürlich von den anderen Gesprächskreisen erstmal alle auf den Deckel kriegen“, lacht Sebastian Bugs.
Die Gemeinden haben das Sagen
Profitieren würden Gemeinden vor allem durch die gesteigerte Autonomie. Aktuell geht die Hälfte der Kirchensteuereinnahmen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg an die Kirchenbezirke; der Rest wird von der Landeskirche in ihren Zuständigkeitsbereichen eingesetzt.
Doch selbst in Bezug auf das Geld, das bei den Gemeinden ankommt, ist deren Spielraum beschränkt: bei rund 80 Prozent des Geldes handelt es sich um gebundene Mittel mit fixem Zweck. Wenn die Gemeinden Zuschüsse benötigen, müssen sie das dem Oberkirchenrat in Stuttgart rechtfertigen. „Ich kriege als Kirchengemeinderat immer die Krise, wenn ich mir überlege, was für banale Dinge man oben erfragen muss, und es dauert ewig, bis man eine Antwort kriegt“, ärgert sich Andreas Hollatz.
Man soll sehen, wo das Geld wirkt.
Sebastian Bugs
Das Konzept der Kfm würde die Verwaltung des Geldes und damit auch die Entscheidung über dessen Anwendung in die Hände der Gemeinden legen. Natürlich, so Sebastian Bugs, dürften überregionale Aufgaben dabei nicht auf der Strecke bleiben. Allerdings läge es in diesem Fall an der Landeskirche, die Gemeinden von der Legitimität ihrer Anliegen zu überzeugen „So müsste auch eine Verwaltung gegenüber den Gemeinden zeigen, dass sie gute Arbeit machen, und nicht andersrum – dass Gemeinden immer nach oben betteln müssen.“
Auch der Bei- und Austritt aus der Gemeinde wäre flexibler und nicht zwangsläufig mit einem Gang zum Amt verbunden, argumentiert Sebastian Bugs weiter. Darüber hinaus habe das einzelne Gemeindemitglied mehr Einfluss auf den Zweck, dem der eigene Beitrag zugutekomme. Die investierte Summe könne gezielt eingesetzt werden und der Gemeinde unmittelbar nutzen. „Man soll sehen, wo das Geld wirkt“, fasst der Theologe zusammen.
Finanzen auf Vertrauensbasis
Dass es in den Gemeinden auch Bereitschaft gäbe, weiterhin Geld in ihre Kirche zu stecken, bezweifeln Bugs und Hollatz nicht. Wie letzterer berichtet, werde auch jetzt schon sehr viel gespendet – und das zusätzlich zur Kirchensteuer. Er schlussfolgert: „Die Grundlage ist da.“ Selbst bei flexiblen oder gar freiwilligen Mitgliedsbeiträgen sehen die beiden kaum Gefahr, dass strategisch geknausert wird. „Man muss Vertrauen in die Menschen haben, dass sie nicht nur nach Preis-Leistung schauen, sondern sich bewusst für ihre Kirche einsetzen“, sagt Sebastian Bugs.
Wir können nicht von 800 Millionen direkt auf Null gehen. Das ist vollkommen unmöglich.
Andreas Hollatz
Der Kirchheimer Pfarrer gibt jedoch zu, dass höchstwahrscheinlich mit finanziellen Einbußen zu rechnen sei. Das, so Bugs, sei aber gar nicht so schlimm: „Es ist egal, wenn wir davon finanziell erstmal nicht profitieren, denn es ist viel wichtiger, ein System zu etablieren, dass uns in die Zukunft führt.“ Dieses Finanzierungssystem könne neben Mitgliedsbeiträgen übrigens auch andere Einnahmequellen miteinschließen, wie etwa das Vermieten leerstehender Gebäude im Besitz der Gemeinde.
Nichtsdestotrotz komme man um Sparmaßnahmen wohl nicht herum. Eine Möglichkeit sei der Zusammenschluss kleinerer Kirchengemeinden. „Wir werden an Fläche sicherlich verlieren, aber das tun wir sowieso“, gibt Sebastian Bugs zu bedenken.
Jetzt oder nie
Keinesfalls abbauen dürfe man laut der Kfm beim Personal der Gemeinden. Wenn schon abbauen, dann lieber oben. „Die Arbeit, die der Oberkirchenrat leistet, ist auch wichtig, aber für das einzelne Mitglied unmittelbar nicht so entscheidend wie zum Beispiel ein Hausbesuch“, schätzt Andreas Hollatz. Es könne nicht sein, dass man sich auf der Gemeindeebene „zu Tode“ spare. An dieser Stelle hofft der Prädikant in erster Linie aber, mehr Menschen fürs Ehrenamt begeistern zu können.
Natürlich ist eine Reform dieses Ausmaßes kein Zwei-Wochen-Projekt. „Wir können nicht von 800 Millionen direkt auf Null gehen. Das ist vollkommen unmöglich“, stellt Andreas Hollatz klar. Das Stichwort lautet: mittelfristig. Man müsse eine Zeit lang parallel fahren und sich eine Finanzgrundlage aufbauen, damit das neue System das alte langfristig ablösen könne.
Doch gerade, weil eine solche Umstellung 15, vielleicht 20, Jahre dauern könne, müsse man mutig sein und jetzt beginnen, betont Sebastian Bugs. Das bedeutet nicht zwangsläufig, den Kessel anzuschmeißen und auf der Stelle mit Volldampf loszuheizen, aber zumindest die ersten Weichen zu stellen – den Austausch zu suchen, Ideen zu sammeln, Pläne zu machen. Der Pfarrer warnt: „Wenn wir jetzt nicht anfangen, merken wir später, wie bei vielen anderen Themen auch: Wir sind zu spät dran.“

