Krisen
Warum Suizide oft vermeidbar sind

Jeden Tag passieren in Deutschland 25 Suizide. Der Arbeitskreis Leben (AKL) bietet Menschen, die in Krisen stecken, und ihrem Umfeld Hilfe an, damit es nicht zum Äußersten kommt.

Der Arbeitskreis Leben (AKL) kann Wege aus der Dunkelheit aufzeigen. Symbolfoto: Jörg Bächle

Rund 10.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an Suizid. „Das sind mehr als durch Verkehrsunfälle, Aids, illegale Drogen und Gewalttaten zusammen“, sagte Lilly Weithofer vom Arbeitskreis Leben (AKL) bei einem Pressegespräch vor dem Welttag der Suizidprävention, der am Dienstag begangen wird. Bei Menschen zwischen 19 und 25 Jahren sei Selbsttötung sogar die zweithäufigste Todesursache. Den Welttag nimmt die Fachberatungsstelle zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass Suizide keine unvermeidbare Tode sind, sondern sich häufig verhindern lassen, wenn Betroffene frühzeitig Hilfe bekommen. „Mit professioneller Unterstützung ist das eine schwere Krise, die aber überwindbar ist“, sagt Weithofer.

„Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“ – „Das hat alles keinen Sinn mehr.“ – „Das kann nicht mehr gut werden.“ – „Ich wünschte, ich wäre nicht da.“ – „Mich kann gar niemand verstehen.“ Solche Gedanken treiben Menschen häufig um, die sich überlegen, ihr Leben zu beenden.  „Wenn Krisen länger gehen und die Verzweiflung zu groß wird, kommt manchmal Suizidalität ins Spiel“, sagt Weithofer. Betroffene könnten häufig gar nicht mehr benennen, warum es ihnen so schlecht geht. Dazu kommen weitere Warnsignale.

Bloß keine guten Ratschläge

Wenn solche Gedanken laut geäußert werden, kommt dem Umfeld eine wichtige Rolle zu. „Es hilft überhaupt nicht, zu sagen ‘Ach komm, so schlimm ist es doch nicht’, oder irgendwelche Ratschläge zu geben“, sagt Hannah Brunold, Psychologin beim AKL. Stattdessen empfiehlt sie, Fragen zu stellen – und zuzuhören. Ein „Wie geht es dir?“ oder „Warum empfindest du so?“ könne häufig schon ein Türöffner sein. Wenn der Kollege, die Verwandte oder Freundin reden will, gilt es, die Gefühle mit auszuhalten, anstatt sie klein zu reden. „Wenn man das tut, ziehen sich die Betroffenen oft noch weiter zurück“, warnt Brunold. Die beiden Fachberaterinnen wissen, wie schwer es Menschen fällt über ihre Traurigkeit oder gar Suizidgedanken zu sprechen. „Man will nicht jammern oder andere belasten“, sagt Weithofer. Umso wichtiger sei es, ihnen zuzuhören, wenn sie sich öffneten.

Im Landkreis Esslingen sind im vergangenen Jahr 54 Menschen an Suizid gestorben. Weit über die Hälfte waren Männer. Auch in der bundesweiten Statistik sind Männer überproportional vertreten. Woran es im Einzelfall gelegen hat, dass ein Mensch sein Leben beenden wollte, können Hannah Brunold und Lilly Weithofer natürlich nicht beantworten. Klar ist aber, dass Männer sich seltener Hilfe holen, auch in der Fachberatungsstelle des AKL. Psychische Erkrankungen würden oft später diagnostiziert, weil Männer ihr Leiden schlechter wahrnehmen könnten. Auch sei das soziale Netzwerk in der Regel schlechter als bei Frauen. Dass Jungen häufig nach dem Motto „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ erzogen werden oder worden sind, kann sich später rächen. „Oft fehlen Männern die Worte für ihre Gefühle“, sagt Hannah Brunold. Und Lilly Weithofer ergänzt: „Männer setzen sich häufig viel stärker unter Druck, nach dem Motto: ‘Ich muss das allein hinbekommen’ und ‘Ich muss der Starke sein’“. 

Die Fachberatungsstelle des Arbeitskreises Leben ist für alle Menschen offen, die in einer Krisensituation sind, Selbsttötungsgedanken haben, einen Suizidversuch hinter sich haben oder sich Sorgen um einen Angehörigen, eine Freundin oder einen Kollegen machen. Ein Anruf genügt. „Bei uns bekommt man innerhalb einer Woche einen Termin für ein Erstgespräch“, sagt Lilly Weithofer. Natürlich könne die Beratung keine Therapie ersetzen. „Wir können aber versuchen, die Zeit, bis ein Therapeut gefunden ist, zu überbrücken“. 

 

Info Der Arbeitskreis Leben (AKL) betreibt in Kirchheim und Nürtingen Fachberatungsstellen, die telefonisch erreichbar sind. Die Nummern finden Betroffene unter www.ak-leben.de​​​​​​.