Schwach. Tot. Gebrechlich. Das sind Begriffe, die Kirchheimerinnen und Kirchheimern einfallen, wenn man sie nach dem Alter fragt. Die Antworten nimmt die Professorin und Kirchheimer Stadträtin Dr. Andrea Helmer-Denzel mit Humor auf – die klischeebehafteten Altersbilder sind für sie als Studiengangsleiterin für Soziale Arbeit an der Universität Heidenheim nichts Neues. Die Angst, zusammen mit dem Job sein Ansehen, seine Funktion, gar den eigenen Wert an den Nagel zu hängen, sei ein gängiges Phänomen – aber völlig unbegründet, erklärt die Kirchheimerin bei ihrem Vortrag „Abschied vom Beruf – den Neubeginn gestalten“ im Alten Gemeindehaus.
Auf die Einstellung kommt es an
„Wer ein positives Bild vom Älterwerden hat und die neue Lebensphase als Möglichkeit begreift, neue Pläne anzugehen, ist sozial aktiver und schließt häufiger Freundschaften“, sagt Andrea Helmer-Denzel. Wie bei vielem komme es schlicht auf die Überzeugung an. Deshalb möchte die Kirchheimerin einige Vorteile der sogenannten dritten Lebensphase, die das Alter von 65 bis 85 umspannt, in den Vordergrund rücken: „Die Menschen sind finanziell relativ unabhängig, wobei es auch einige Fälle von Altersarmut gibt, sie sind weitestgehend ohne Beruf, überwiegend gesund und haben viel Freizeit gewonnen.“ Sogar die gesellschaftliche Wertschätzung sei hoch, da diese Altersgruppe schlicht wichtige Aufgaben übernehme.
Von Minijob über die Pflege von älteren Angehörigen, der Betreuung von Enkelkindern, der Übernahme von Ehrenämtern bis hin zu Beteiligungen in Vereinen und Parteien sind die Aufgaben vielfältig, so Andrea Helmer-Denzel. Sie bilden in der Gesellschaft eine wichtige Säule. In Deutschland sind, so Helmer-Denzel, derzeit zwischen 25 und 26 Prozent der Menschen über 65 Jahre alt. Kein Wunder, wenn man bedenke, dass zwischen Mitte der 50er-Jahre und bis Ende der 60er-Jahre jedes Jahr über eine Million Kinder zur Welt gekommen seien. „Wir haben ein riesiges Potenzial“, da ist sich die Kirchheimerin sicher.
Ein Potenzial, das viel zu schade zum Verschenken sei. Andrea Helmer-Denzel schärft ein: „Zu Beginn der Rente habe ich noch viel Zeit vor mir, ich kann noch viel gestalten, ich muss mir nur überlegen, was ich will.“ Die Referentin greift erneut zur Zahl: Heute hätten 60-jährige Männer noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 22 Jahren und Frauen sogar von 26 Jahren. Um die Rente ungenutzt zu lassen, sei die Zeit zu lang – vor allem, wenn man bedenke, wie dringend die Gesellschaft auf die Menschen angewiesen sei.
Aha-Moment im ersten Winter
Und dann geht’s los: Die Rente beginnt. Während das erste Jahr meist noch von Euphorie geprägt sei, würde der Winter viele Neurentner aufrütteln. Einfach in den Tag zu leben, auszuschlafen, Haus und Garten auf Fordermann zu bringen, reiche in vielen Fällen nicht aus, um ein Gefühl der Zufriedenheit zu schaffen. Eine Umstrukturierung müsse her. Dabei sei es wichtig, sich selbst zu hinterfragen: Wie gehe ich mit dem neuen Lebensabschnitt um? Wo gehe ich hin? Was möchte ich machen? Für den neuen Lebensabschnitt brauche es geradezu ein eigenes Motto. Besonders inspirierend findet die Kirchheimerin ein Zitat von David Bowie: „Altern ist ein außergewöhnlicher Prozess, bei dem man zu der Person wird, die man immer hätte sein sollen.“ Der Rentenbeginn sei deshalb der richtige Zeitpunkt, um sich zu überlegen, ob man seinen Traum aus der Jugend gelebt hat oder ob man das noch möchte. Wer sich auf den Weg macht, muss, laut der Referentin, seine Komfortzone verlassen und Neues ausprobieren. Es gebe die Möglichkeit, auf Reisen zu gehen, eine Lehre zu beginnen oder ein Instrument zu lernen. Auch ein Umzug sei nicht ausgeschlossen: Jeder könne noch mal neu anfangen. Andrea Helmer-Denzel betont: „Menschen sind sehr anpassungsfähig, sie sind dafür gemacht, um mit Veränderungen umgehen zu können.“