Kirchheim
Wasserstoff soll die Zukunft im Landkreis Esslingen bewegen

Mobilität Die EU macht Druck auf Hersteller und Verkehrsbetriebe, emissionsarme Nutzfahrzeuge herzustellen und einzusetzen. Der Landkreis setzt viele Hoffnungen auf H2, Cellcentric auf Weilheim. Von Thomas Zapp

Einige Wasserstoff-Trucks waren auf dem Gelände der Busworld in Esslingen ausgestellt und wurden ausgiebig begutachtet. Fotos: Carsten Riedl

Die Europäische Union will den Verkehr in den kommenden zwei Jahrzehnten emissionsfrei bekommen und gibt dafür mächtig Gas. Die Richtlinie „Clean Vehicles Directive“ CVD fordert, dass bis 2030 bei Neuanschaffungen mindestens 15 Prozent der schweren Nutzfahrzeuge und 65 Prozent der Busse emissionsarm oder emissionsfrei sein müssen. Bis 2040 sollen es sogar 90 Prozent sein. Für den Landkreis Esslingen war das Anlass genug, zu einer Expertenrunde über die  Zukunft der Mobilität einzuladen, in deren Zentrum der Wasserstoffantrieb in Bussen und Nutzfahrzeugen stand.


 

Die Infrastruktur für Wasserstoff
muss hochgefahren werden.  
Heinz Eininger

 

 

Bekenntnis zum Standort Rosenloh

„Wasserstoff kann zukunftsweisend sein“, sagte Landrat Heinz Eininger in seiner Begrüßung vor rund 70 Gästen in in der Esslinger „Busworld“. „Von 246 Linienbussen müssen bis 2030 mindestens 61 emissionsfrei fahren – Stand: jetzt“ betonte er. Im Landkreis gibt es gar eine eigene Stabstelle für Wasserstoff, dem die Potenzialanalyse der Hochschule Esslingen eine „überragende Rolle“ attestiert. Deshalb habe der Landkreis auch eine eigene Stabstelle für Wasserstoff eingerichtet. Die Lage an der geplanten Neckarpipeline H2-Genesis von Stuttgart nach Esslingen und der süddeutschen Erdgasleitung SEL, die ab 2030 auch Wasserstoff befördern soll, sei günstig. Und natürlich erwähnte der Landrat auch das geplante Klimawerk der Cellcentric im Weilheimer Gewerbegebiet Rosenloh.

Von eben jenem Brennstoffzellen-Joint-Venture war auch kurzfristig Tillmann Braun gekommen, der in seinem Vortrag klarstellte: „Weilheim bleibt der Standort, wo wir die Großskalierung machen.“ Die Eröffnung des umgebauten Standorts in der Esslinger Pliensauvorstadt sei nur die Anlauffabrik für eine Großproduktion – welche die größte in Europa werden soll. Das klare Bekenntnis zu Weilheim wird Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle gerne gehört haben, denn auch er saß im Publikum. Braun ließ auch keinen Zweifel daran, dass Wasserstoff als Antrieb eine Rolle spielen wird. Denn Herstellern wie Daimler Trucks drohen Strafzahlungen, wenn das CO2-Äquivalent zu ihrer Produktion zu hoch ist. „Das ist ein enormes Risiko für Fahrzeugbauer“, sagt er.

Im Vergleich zum ebenfalls emissionsarmen batterieelektrischen Antrieb ist Wasserstoff trotz der derzeit hohen Preise bei Erzeugung und in der Motorentechnik gerade bei Nutzfahrzeugen in punkto Reichweite und Gewicht im Vorteil. Das gilt nicht nur für Lastwagen sondern auch für Baustellenfahrzeuge. Darauf wies der Weilheimer Recycling-Unternehmer Hans-Jörg Fischer hin. Der sieht bei der Batterie vor allem das Gewicht als Problem an: „Der Brennstoffzellen-Lkw wiegt 400 Kilogramm mehr, die Batterie mehr als zwei Tonnen.“ Fischer setzt daher auf Wasserstoff-Motoren, auch weil die gut auf Baustellen betankt werden können. 

Allerdings fehlt es noch an der Infrastruktur. Für Landrat Eininger herrscht derzeit ein klassische Henne-Ei-Dilemma: „Hier die Tankstellenbetreiber, die brauchen Abnehmer. Dort die Unternehmer, die bringen die LKW, aber nur wenn die Infrastruktur da ist.“ Weilheim spielt dabei wieder eine Rolle. Denn im Gewerbegebiet Rosenloh soll nicht nur Wasserstoff erzeugt, sondern über das Unternehmen GP Joule HyTeck eine Wasserstoff-Tankstelle gebaut werden – auch deren Vertreter Nicolas Gropengießer war unter den Vortragenden. Als Partner hat er die Firma Fischer im Boot, hier schließt sich der Weilheimer Wasserstoff-Kreis.

Technik ist wenig anfällig

Die Bedeutung der Infrastruktur bestätigt auch Jochen Gonser von der Esslinger Spedition Gebrüder Weiss. Deren Wasserstoff-Truck ist derzeit vor allem in der Schweiz im Einsatz, denn dort ist die Infrastruktur vorhanden. Geräuscharm, frostsicher, wenig Reparaturen. „Die Technik ist weniger anfällig“, lobt er. Außerdem sei der Fahrer stolz, ein emissionsarmes Fahrzeug zu fahren. Doch für eine Anschaffung im großen Stil fehle es derzeit an verlässlichen Rahmenbedingungen – dafür ist die Technik immer noch zu teuer. Denn, auch das gehört zur Wahrheit: „Die Mehrkosten für den emissionsarmen Transport ist nur einer von 50 Kunden bereit zu zahlen“, sagt er.  

Bei allen Herausforderungen ist das Thema Wasserstoff aber schon konkreter, als viele denken mögen. Das betont Markus Wiedemann von der SSB Stuttgart, den Stuttgarter Verkehrsbetrieben. „Stuttgart möchte 2035 klimaneutral sein, daher kaufen wir ab jetzt keine Verbrenner mehr“, sagt er. Für Anfang 2025 sind 18 neue Fahrzeuge geplant. Aber Stand jetzt sei es eine Investition, die nicht wirtschaftlich sei. „Der Kaufpreis verdoppelt sich“, sagt er im Hinblick auf Busse mit Dieselmotoren. Doch man habe bereits viel Erfahrung und wolle andere Unternehmen daran teilhaben lassen. „Sie brauchen eine werkstatttaugliche Tankstelle und Sie müssen das Personal schulen. Das ist eine komplett neue Welt“, sagt Wiedemann. An die geplanten Wasserstoffpipelines wollen sich auch SSB andocken. „Wir wollen jeden Tag eine halbe Tonne Wasserstoff abnehmen.“

Auf einen weiteren Vorteil weist Tillmann Braun von Cellcentric hin: Der Wasserstoff-Motor ähnelt dem Verbrenner-Motor in vielen Bestandteilen: „Das spielt für die hier vorhandene Zulieferindustrie eine große Rolle.“