Kirchheim
Weihnachtslichter und ein Wunsch

Heiligabend Gefeiert wird über Konfessionsgrenzen hinweg – und ein Pfarrer wünscht der Gemeinde einen heftigen „krippalen Infekt“: Die Christmette um 22 Uhr in der Martinskirche war mehrfach ungewöhnlich. Von Peter Dietrich

Eigentlich war die Ökumenische Christmette um 21 und 22.30 Uhr auf dem Martinsplatz geplant. Doch dann kamen die Anmeldungen recht zögerlich, und sie wurde auf einheitlich 22 Uhr in die Martinskirche verlegt. Angesichts des Regenwetters war das im Nachhinein sehr wertvoll.

Draußen bei Kälte und Dunkelheit feiern? Vor einigen Jahrhunderten war das am 24. Dezember üblich. Denn bis ins Mittelalter war der 24. Dezember der Gedenktag für Adam und Eva. Ihr Sündenfall, von der verbotenen Frucht vom Baum des Lebens zu essen, wurde damals auf der Kirchentreppe oder vor der Kirchentür packend nachgespielt. Gott hat Adam und Eva zur Rede gestellt, das uralte Spiel „der andere ist schuld“ begann, half aber nichts: Die beiden flogen aus dem Paradies, der Rückweg war fortan versperrt und durch die Cherubim mit Flammenschwertern bewacht.

Der katholische Pfarrer Franz Keil erklärte in der Feier nicht nur die Praxis des mittelalterlichen Paradiesspiels, sondern auch, was danach kam: Dann wurden die Kirchentüren geöffnet, und drinnen folgte als zweiter Teil das Krippenspiel: „Jetzt erst wurde der Geburtstag des Menschen gefeiert, von dem wir Christen glauben, dass er uns die verschlossenen Paradiestore öffnet.“ Franz Keil beschrieb das Paradies als Bild für den menschlichen Traum von Freiheit, Freude und Frieden. Jesus öffne die Tür zum Paradies der Freiheit, „indem er kleinliche Gebote und unsinnige Regeln außer Kraft setzt und den Menschen zutraut, ihr Leben unter dem Maßstab der Liebe eigenständig zu gestalten, indem er sich von den Mächtigen nicht einschüchtern lässt und seine Jünger zu offenen und ehrlichen Worten ermutigt“. Er begeistere die Menschen für eine originelle Lebensgestaltung, bei der sie ihre Gaben ausspielen. Er hole Hirten aus der Isolation, bringe die Leute mit humorvollen Vergleichen zum Lachen und löse ihre Verkrampfung, erzähle Beispielgeschichten von Solidarität und Hilfsbereitschaft.

Damit wussten auch Besucher, die es zuvor noch nicht wussten, was es mit dem „Cherub“ in der sechsten Strophe des bekannten Liedes „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“ auf sich hat. Dieses Lied hatte zuvor Martinskirchenkantor Ralf Sach vorgetragen, denn drinnen singen war den Anderen nicht erlaubt. Der evangelische Pfarrer Jochen Maier ermunterte die Besucher jedoch, es „innerlich mitklingen“ zu lassen. Später bei „Stille Nacht, heilige Nacht“ forderte er dazu auf, zumindest leise mitzusummen.

Alle Teilnehmer hatten ein Weihnachtslicht bekommen, die Stimmung in der ansonsten abgedunkelten Kirche erinnerte etwas an die Osternachtfeiern, bei denen es draußen ebenfalls dunkel ist. Dass an Heiligabend ökumenisch gefeiert wird, ist im Gegensatz zur Osternacht noch keine Tradition, könnte es aber zumindest in Kirchheim noch werden, denn mancher Teilnehmer ist auf den Geschmack gekommen. Die beiden Pfarrer ergänzten sich gut.

Am Ende wünschte Franz Keil den Besuchern einen heftigen „krippalen Infekt“: Sie mögen sich vom Kind in der Krippe und seiner Botschaft infizieren lassen. Diesen Infekt bekomme, wer unter der Kälte und Freudlosigkeit seiner Mitmenschen leide, wem nicht alles gleichgültig sei. Symptome seien Schwäche, Fieber und Schluckbeschwerden: Wenn einer eine Schwäche für seine Mitmenschen habe, wenn er sehnsüchtig nach Heil und Heilung fiebre und wenn er nicht bereit sei, alles zu schlucken, was an Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit geschehe.

Die Weihnachtslichter durften alle mit nach Hause nehmen. „Wir alle dürfen Träger dieses Lichts sein“, sagte Jochen Maier. Die Ökumene galt auch bei der Kollekte: Sie geht anteilig an weltweite Hilfsprojekte von „Adveniat“ und „Brot für die Welt“.