Ein mobiler Imbissstand steht mitten im „Hain der Kulturen“ auf der rötlich geschotterten „Ausgleichsfläche“, die den Grundriss der zurzeit geschlossenen Städtischen Galerie im Kornhaus nachbildet. Statt der üblichen weißen Kunststoffflächen zeigt der Wagen unbehandelte Holzoberflächen. Sein Vordach wird von einem großen Ast gestützt. Der Duft verrät, dass Fisch, Reis und Tee serviert werden und vermittelt die Sorgfalt und allumfassende Ästhetik, die auf die traditionelle japanische Kultur schließen lässt.
Der Künstler Shinroku Shimokawa verwendet den Begriff „NOGAKE“, der seit der Edo-Zeit für das freizeitliche Picknick in der Natur steht, als Bezeichnung für seinen Wagen. Dort serviert er selbst zubereitete Speisen und grünen Tee. Dafür verwendet Shimokawa Wasser aus der Lauter, die direkt dahinter durch den Bürgerpark fließt. Ein Filter aus dem Campingzubehör kommt dabei zum Einsatz, trotzdem weist ein Schild darauf hin, dass der Verzehr auf eigene Gefahr erfolgt. Mit dem Reis wird Fingerfood zubereitet und auf Papiertellern angeboten.
Shinroku Shimokawa ist kein klassisch ausgebildeter Tee-Zeremonienmeister. Seine künstlerische Arbeit steht in einem aktuellen, zwischen den Kulturen oszillierenden Zusammenhang. Der gebürtige Japaner, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, ist auch kein Ökologe, sondern will den Fluss, die Kirchheimer Lauter, aus künstlerischer Sicht zeigen. Deshalb besteht sein Projekt aus mehreren Ebenen, die man schrittweise erkunden kann.
In der Nähe des Wagens liegen drei weiße Steinblöcke, die am Ufer und im Wasser der Lauter platziert sind. Auch der Stein ist lokalen Ursprungs, es ist der als „Schwäbischer Marmor“ bekannte Kalkstein von der Schwäbischen Alb. Auf jedem Stein ist je ein QR-Code eingraviert. Mit dem Smartphone kann man so drei Videos aufrufen. Ein Video fängt genau an der Stelle an, an der auch der Stein im Wasser liegt. Um den QR-Code mit dem Smartphone zu erreichen, ist der Betrachter also eingeladen, selbst mit den Füßen ins kühle Nass zu steigen und das Element sinnlich zu erfahren. Dieses Video ist mit einer Unterwasserkamera aufgenommen, die im Fluss abwärts geführt wird. Wie schon die Einladungskarte zu diesem Stadt-Fluss-Projekt zeigt es trübes Wasser. Tatsächlich sind die Wasserwerte der Lauter im Bürgerpark nicht besonders gut. Das liegt an der Fließgeschwindigkeit, die in diesem Bereich zu niedrig ist. Langsames Fließen ist gut für die Biodiversität, aber schlecht für die Wasserqualität, wenn man damit kochen will, daher ist Filtern und Kochen unvermeidlich. Der Ausblick auf einen Bach mit Brennnesselbewuchs steigert jedoch die Freizeit- und Lebensqualität des Ortes und damit die Immobilienpreise der anliegenden Bebauung. Das hat für die Gestaltung des Bachverlaufs an dieser Stelle offenbar den Ausschlag gegeben.
Aus den Wasser- und Pflanzenvorkommen kann man Speisen und Getränke zubereiten und verzehren. Das metabolisierende Durchdringen des eigenen Selbst, das zu dessen Entgrenzung führt, ist wiederum ein zentrales Element in der zenbuddhistisch geprägten japanischen Philosophie. Shinroku Shimokawas Arbeit kann aber durchaus exemplarisch gesehen werden und könnte auch von jedem beliebigen Ort des Globus ausgehen. Sie steht damit in Zusammenhang mit den gegenwärtigen kulturellen und politischen Konflikten zwischen globalem Süden und den mächtigen Industriestaaten und den damit verbundenen Fragen nach kultureller Identität.
Auch ein Kochbuch gehört zu seiner Kunst
Shinroku Shimokawa wurde 1979 in Tokio geboren. Er studierte Bildhauerei an der Tokyo University of the Arts und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart.
Als bildender Künstler benutzt er Masse und Material, vom schweren, statischen Stein bis zum dynamisch fließenden Wasser. Diese Elemente werden in Raum und Zeit in Bewegung gesetzt.
Sein Schaffen geht so weit, dass er mit seiner Arbeit auch den menschlichen Körper durchquert. „Steine kann man nicht essen“ ist auch der Titel seines Kochbuchs, das er vor einigen Jahren herausgegeben hat, aber aus lokalen Wasser- und Pflanzenvorkommen kann man Speisen und Getränke zubereiten und verzehren, wie er in seinem Stadt-Fluss-Projekt beweist. kb