Beinahe lautlos rollt der gelbe Mercedes E-Vito den Berg hinauf. Doch übersehen kann man ihn kaum: Er ist im markanten Postgelb lackiert. Am Steuer sitzt Birgit Zimmermann. Im Laderaum hat sie 137 Pakete und Päckchen, Warensendungen und unzählige Bündel mit Briefen und Zeitschriften. Es ist kurz nach 9 Uhr an der Alten Plochinger Steige in Kirchheim – seit 28 Jahren Birgit Zimmermanns Zustellbezirk. Seit 6.30 Uhr ist sie im Dienst. Ihr Arbeitstag beginnt im Zustellstützpunkt in Wendlingen. „Da habe ich meine Briefe sortiert und gesteckt und dann den Wagen beladen.“ Die Post wird dabei von ihr schon in exakt der Gangfolge in Fächer sortiert, wie sie später die Straßen und Häuser ihres Zustellbezirks abläuft.
In ihrem Bezirk kennt sie praktisch jeden. Sie weiß, wer heiratet oder sich scheiden lässt und wo Nachwuchs unterwegs ist. Auf einem der Briefe steht ein anderer Name als auf dem Briefkasten. „Das ist ihr Geburtsname“, sagt Zimmermann, inzwischen sei die Empfängerin verheiratet. Bei einem anderen Haus wird ein Brief eingeworfen, auf dem der richtige Name, aber eine andere Hausnummer steht. Den hat sie schon beim Vorsortieren am Morgen markiert. „Das sind die Erfahrungswerte, die man als Zusteller hat“, sagt sie. Vielen ihrer Kollegen fehle diese jahrelange Erfahrung inzwischen – oft kommt die Post schon automatisch vorsortiert zu den Zustellern. Das spart Zeit und Kosten – aber eine Sortieranlage kennt eben nicht alle Details aus dem Bezirk.
Seit einigen Jahren sind zu den Briefen auch noch Pakete hinzugekommen. Bei der Deutschen Post nennt man das „Verbundzustellung“. „Die Anzahl der Briefe sinkt und die Zahl der Pakete steigt“, sagt Zimmermann. Bei einer reinen Briefzustellung müssten die Zustellbezirke viel größer werden. Deshalb gehören Pakete seit Langem zu ihrer Standard-Fracht.
das beste Training.
Stress gehört zum Alltag als Briefträger dazu: „Manchmal fluchen Kollegen über die vielen Pakete“, sagt Zimmermann. Dabei sei es viel besser, gelassen zu bleiben. Insbesondere in der stressigen Vorweihnachtszeit. Da wird nämlich deutlich mehr verschickt als sonst. Auch bei Zimmermann ist die Menge an Paketen enorm: „An einem normalen Tag fahre ich zwischen 80 und 100 Pakete aus, zusätzlich zur Briefpost. Vor Weihnachten kann es schnell das Doppelte sein.“ Besonders groß sei das Paketaufkommen in der Corona-Zeit gewesen. Damals habe sie bis zu 200 Stück in ihren Vito geladen.
In ihrem Zustellbezirk liegen viele Einfamilienhäuser. Etliche davon mit großen Grundstücken. Und während der Briefkasten meistens vorn am Gartentor ist, müssen die Pakete bis zur Haustür gebracht werden. Oder sie werden am vereinbarten Ablageort platziert. „Inzwischen haben die meisten Kunden einen Ablagevertrag mit uns“, sagt Zimmermann. Das erleichtere es für sie, wenn niemand zu Hause ist. Dabei stimmt der Empfänger zu, dass die Lieferung zum Beispiel in der Garage oder in einem Schuppen abgelegt werden darf.
Nicht selten geht Zimmermann so zügig, dass es eher einem Laufschritt gleicht. „Der Job ist für mich das beste Training“, sagt sie und muss schmunzeln. In ihrer Freizeit fährt die Lindorferin Extrem-Radrennen.
Extremsport als Ausgleich
Eine Woche vor dem Termin mit dem Reporter war sie in Mexiko bei einem Fahrradmarathon und im Oktober hatte sie am „Trans Am Bike Race“ teilgenommen, einem 6800-Kilometer-Radrennen quer durch die USA. 43 Tage benötigte die 61-Jährige dafür. Und auch im kommenden Jahr will sie bei einem Radrennen durchstarten: Im Juni hat sie sich schon für ein Rennen vom Nordkap nach Gibraltar angemeldet. „Erst vor ein paar Tagen hat mein Arbeitgeber den Urlaub dafür genehmigt“, freut sie sich. Es sei ein schöner Ausgleich. Dann holt sie der Alltag zurück: Ihr Handscanner weist darauf hin, dass sie für die Statistik die nächste Dialogpost scannen soll. Sie schaut ihren Briefstapel durch und hält das Gerät auf den kleinen QR-Code im Adressfeld.
„Ich hab’ heute einige schwere Pakete dabei“, sagt sie. Auch heute stehen bruchsichere Weinkartons und Pakete von Futtermittelherstellern im Laderaum. Da kommen schnell mehr als 20 Kilogramm pro Paket zusammen. Wenn es schwer wird, holt die 61-Jährige eine Sackkarre aus der Seitentür. Das erleichtert den Transport zur Haustür – aufgeladen werden muss aber von Hand.
„Hallo Birgit“, ruft ein Nachbar. „Hast du mein Paket dabei?“ Leider muss Zimmermann verneinen. Für ein Schwätzchen ist trotz Stress immer Zeit. An einem anderen Haus öffnet die Besitzerin die Tür: „Zum Glück bin ich heute zu Hause“, dann verschwindet sie kurz von der Tür und bringt der Zustellerin Pralinen als Weihnachtsgeschenk. Sie bekomme viel Schokolade rund um Weihnachten, sagt sie. Manchmal so viel, dass sie es weiterverschenke. Haus um Haus liefert Zimmermann ihre Post aus. Fast überall ist ein Paket dabei. Manchmal ist es auch umgekehrt: „Kannst du das gleich mitnehmen?“, fragt eine Anwohnerin und drückt ihr drei Pakete in die Hand. Auch das gehört zu ihrer Arbeit: Die Zustellerin trägt die Pakete zum Auto, scannt die Etiketten und bringt den Einlieferungsbeleg rasch zurück. Am Straßenrand steht ein Briefkasten. Zimmermann stoppt. „Den müssen wir auch noch leeren“, sagt sie. Gerade wenn sie Urlaub hat, werde das von ihren Vertretungen gerne vergessen.
Zustellerin seit 43 Jahren
Bei der Post arbeite sie schon seit 43 Jahren, erzählt sie. Angefangen hat es als Ferienjob nach dem Abitur. „Ich wollte eigentlich Krankenschwester werden“, erzählt sie. Doch habe es damals für Abiturienten keine Ausbildungsplätze in der Krankenpflege gegeben. Das habe ihre Lebensplanung ziemlich durcheinander geworfen. Also blieb Zimmermann bei der Post, machte später noch eine Ausbildung dort und ist seitdem Zustellerin geblieben. „Ich mache das wahnsinnig gerne“, sagt sie. Seit die Pakete dazugekommen sind, fast noch lieber. Es sei zwar anstrengend, aber der Kontakt mit den Leuten sei toll. „Es sind richtige Freundschaften entstanden“, sagt sie. Sie sei schon zu Geburtstagen eingeladen gewesen oder gar zu Flügen mit dem Motorflugzeug.
Und selbst mit den Hunden in der Nachbarschaft komme sie zurecht: „Ich mag Hunde und die meisten, die bellen, wollen einen eigentlich nur begrüßen. Ich bin für sie keine Fremde mehr.“