Kirchheim
Wenn der Partner zuschlägt

Gewalt Andrea Kopp, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums in Reutlingen, erläutert die Aufgaben der Beamten in Fällen von häuslichen Übergriffen und spricht über Opfer, Täter, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Von Gaby Weiss

Nachbarn rufen an, dass es zu Streitigkeiten kommt. Wenn wir ankommen, ist die Frau verletzt und völlig aufgelöst. Der Mann ist alkoholisiert und hoch aggressiv, weigert sich, die Wohnung zu verlassen, und wird in Gewahrsam genommen.“ So schildert Andrea Kopp ein typisches Beispiel häuslicher Gewalt, zu dem die Polizei gerufen wird.

Frau Kopp, Fachberatungsstellen für Gewaltprävention verzeichnen seit Beginn der Pandemie bundesweit einen Zuwachs an Fallzahlen im Bereich häuslicher Gewalt – können Sie das bestätigen?

Andrea Kopp: Im Jahr 2020 gingen die erfassten Straftaten im Vergleich zum noch pandemiefreien Vorjahr um 108 auf 480 und damit auf den niedrigsten Stand im Fünf-Jahres-Vergleich zurück. Auf demselben Niveau bewegten sie sich auch im Jahr 2021. Die Statis­tik bildet also keinen eventuell pandemiebedingten Anstieg dieser Delikte ab. Aber natürlich gibt es – wie bei allen Straftaten – auch bei den Delikten der häuslichen Gewalt eine Dunkelziffer, die wir aber nicht quantifizieren können.

Wie definieren Sie häusliche Gewalt?

Kopp: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik ist sie als Partnergewalt definiert. Darunter werden Straftaten zusammengefasst, die die direkte physische oder psychische Einflussnahme auf Ehe- oder gleichzustellende Partnerinnen und Partner einer Beziehung widerspiegeln. Dabei kann die Beziehung auch bereits aufgelöst worden sein. Häusliche Gewalt umfasst alle Lebens- und Sozialbereiche, in denen die Partner oder ehemaligen Partner verkehren, wie etwa Gaststätten, Sportstätten oder Arbeitsplätze.

Welche Straftaten ermitteln Sie bei häuslicher Gewalt?

Das sind zum Beispiel Straftaten gegen das Leben, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, tätliche Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, Körperverletzungsdelikte, Sachbeschädigung, Freiheitsberaubung, Menschenhandel, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, Nötigung, Bedrohung, Raub, Erpressung und räuberische Erpressung oder Verstöße gegen das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen.

Gibt es auch Fälle häuslicher Gewalt, die von Frauen begangen werden?

Ja, die gibt es durchaus. Unter den 418 Tatverdächtigen im Jahr 2021 waren 307 männlich und 111 weiblich. Das ist etwas mehr als ein Viertel.

Wie verhalten sich die Opfer?

Opfer sind oft sehr verängstigt. Gerade bei Straftaten der häuslichen Gewalt begegnet die Polizei immer wieder dem Umstand, dass das Opfer zwar in der akuten Situation Anzeige erstattet, in der Folge aber dann keine weiteren Angaben mehr macht und auch keinen Strafantrag stellt oder diesen sogar widerruft.

Unterliegt die Polizei bei häuslicher Gewalt der Strafverfolgungspflicht?

Ja, erhalten wir Kenntnis von einer Straftat, so haben wir diese zu verfolgen und zu tun, am konkreten Fall orientiert, was hierfür erforderlich ist: Wir nehmen die Anzeige auf. Wir vernehmen Zeugen, Geschädigte und Beschuldigte. Und wir sichern Spuren und Beweise. Hierzu gehören gegebenenfalls auch die Feststellung und Dokumentation von Alkohol- und Drogenbeeinflussung. In schweren Fällen kann es sogar zur vorläufigen Festnahme mit anschließender Prüfung der Haftfrage kommen.

Laut Polizeirecht ist darüber hinaus auch die Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei.

Das hängt vom Einzelfall ab. Der Aggressor kann zum Beispiel der Wohnung verwiesen werden. Der Grundsatz ist: Der Täter oder die Täterin geht, nicht das Opfer.

Was geschieht, wenn es Kinder gibt?

Über die Definition der häuslichen Gewalt als Partnergewalt hinaus sind bei den polizeilichen Einsätzen Kinder ausdrücklich im Fokus des Gefährdungsmanagements. In allen Fällen, in denen Minderjährige in einer solchen Gewaltbeziehung leben, wird das zuständige Jugendamt über den Sachverhalt informiert – sofern ein sofortiges Tätigwerden zur Sicherung des Kindeswohls notwendig erscheint, auch außerhalb der Bürozeiten.

Wie werden Ihre Beamtinnen und Beamten auf Einsätze in Fällen häuslicher Gewalt vorbereitet?

Die Einsatzkräfte werden bereits im Rahmen der Ausbildung entsprechend geschult. Bei den Einsätzen haben wir es meist mit Personen zu tun, die emotional unter Hochspannung stehen und unkalkulierbar reagieren. Hier sind Sensibilität, Empathie und zugleich konsequentes Einschreiten gefragt. Auf jedem Revier gibt es einen geschulten Ansprechpartner für häusliche Gewalt, der weitere Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Behörden und mit den Hilfseinrichtungen koordiniert.