Wer kennt das nicht: Zusammen mit vielen anderen Patienten sitzt man in der Arztpraxis und wartet, bis man endlich drankommt. Wäre es da nicht einfacher - zumindest bei banaleren Krankheitsfällen - von zu Hause aus oder unterwegs schnell zum Smartphone zu greifen, über eine App seine Daten und Beschwerden durchzugeben und auf den Anruf eines Teledoktors zu warten, der einen kurze Zeit später berät?
Dieser Möglichkeit der Telemedizin steht Dr. Wolf-Peter Miehe, Weilheimer Facharzt für innere Medizin, eher skeptisch gegenüber: „Behandeln am Telefon ist schwierig, beraten möglich.“ Dem Weilheimer ist ein persönlicher Kontakt zu seinen Patienten wichtig. „Ich bin ein großer Verfechter einer guten Arzt-Patienten-Beziehung.“ Doch auch er biete seinen Patienten bereits seit Jahren viermal wöchentlich eine Telefonsprechstunde an, die überaus gut angenommen werde. Diese diene aber nicht dem Erstbefund, sondern dem Folgekontakt. „Es werden zum Beispiel Laborbefunde oder das weitere Vorgehen besprochen. Eine Diagnostik übers Telefon halte ich für problematisch“, sagt Miehe.
Angesichts der Tatsache, dass die Ärzte „nicht mehr werden“, dafür aber die Patienten, und dass die Krankheitsbilder immer komplexer seien, versuche man, die E-Medizin zu etablieren. Dafür hat Miehe Verständnis. Seiner Meinung nach wäre es aber besser, darauf zu achten, dass die ärztliche Infrastruktur erhalten bleibe. Hierzu müsse der Arztberuf wieder attraktiver werden. „Die Politik schafft keine guten Rahmenbedingungen und macht uns das Leben schwer“, verweist er auf bürokratische Aufgaben. Hier müsse man ansetzen - denn, wie er erfahren hat, stehen allein in der Teckregion in den nächsten zwölf Monaten fünf Schließungen und Aufgaben von Hausarztpraxen an.
Generell verschließt sich Miehe der Digitalisierung, die auch im Gesundheitswesen unaufhaltsam ist, aber nicht: „Es gibt zum Beispiel auch Herzschrittmacher oder Defibrillatoren, die man online überwachen kann. Das verbessert die Versorgungsqualität der Patienten.“ Technisch gesehen werde auch die Telemedizin Zukunft haben, „aber ich bin mir nicht sicher, ob sie am Ende gut ist für die Menschen“.
Arztkontakt ist entscheidend
Ähnlich sieht das der Kirchheimer Internist Dr. Thomas Löffler: „Die Digitalisierung schreitet fort. Ob uns das in allen Fällen immer gut tut, ist sehr die Frage.“ Trotzdem müsse man dieser Entwicklung offen gegenüberstehen. Denn es gebe Bereiche, in denen die Digitalisierung segensreich sei. Auch Löffler verweist zum Beispiel auf die Herzschrittmacherkontrolle via Netz. „Was Patienten jedoch hier eher beklagen, ist der fehlende Arztkontakt, das fehlende Gespräch.“ Mit Blick auf die Telemedizin betont er: „In einem Land der großen Bevölkerungsdichte und mit vergleichsweise hohen Arztzahlen wäre der Wegfall eines persönlichen Kontaktes in vielen Fällen abträglich.“ Diese Art der Behandlung könne nur einen Teil des Informationsaustausches erfüllen; man könne zum Beispiel Untersuchungsergebnisse besprechen. „Das Wesentliche in der Arzt-Patienten-Beziehung aber bleibt der persönliche Kontakt.“
Das bestätigt Thorsten Lukaschewski, Vorsitzender der Ärzteschaft Nürtingen: Er hat Verständnis dafür, dass sich die „Generation Smartphone“ die Möglichkeit der Telemedizin wünscht; trotzdem „wird dies nie zu 100 Prozent den Besuch beim Arzt ersetzen können“. Doch letztlich sei nicht die Frage, ob man das Projekt gut finde oder nicht - „denn es läuft schon lange, zum Beispiel in der Schweiz, und wir sind unter Zugzwang, es ebenfalls umzusetzen. Das ist eine Zukunftsentwicklung“, sagt Thorsten Lukaschewski.
Telearzt kann auch beruhigen
Ein Telearzt könne den Patienten auch eine gewisse Sicherheit geben, „denn viele können eine leichte Infektionskrankheit nicht mehr von lebensbedrohlichen Krankheiten unterscheiden“. Das hänge damit zusammen, dass zahlreiche Menschen im Internet Rat suchen. „Dr. Google ist keine Hilfe für unser Gesundheitssystem - ganz im Gegenteil. Denn man muss zunächst wissen, welche Diagnose man hat. Hier sehe ich den größten Benefit der Telemedizin.“ Sie stelle außerdem eine große Entlastung für die Notfalldienste und -ambulanzen dar. Deshalb werde sie einen festen Stellenwert haben, ist sich Lukaschewski sicher. Das Schweizer System werde übrigens schon jetzt von etlichen Patienten auch aus Baden-Württemberg genutzt. Die Bezahlung erfolgt hier privat. Beim Modellprojekt in Baden-Württemberg übernehmen die Krankenkassen die Kosten.