Welche Zukunft hat der Einzelhandel? Hat er überhaupt eine Zukunft? Händler und Politik wollen die zweite Frage unbedingt bejahen und suchen deswegen gemeinsam nach den besten Antworten auf die erste Frage. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium hat dafür den Ideenwettbewerb „Best Practices“ ins Leben gerufen und darum gebeten, sich mit den besten Konzepten daran zu beteiligen. Das Ziel: kreative Antworten des Einzelhandels zu finden auf das Kaufverhalten der Konsumenten, das sich durch die Digitalisierung stark verändert hat. Hinzuzufügen wäre, dass sich das Kaufverhalten auch durch die Corona-Pandemie noch etwas stärker in Richtung Digitalisierung verschoben hat.
Falsch wäre es jedenfalls, nur über die Zeitläufte zu lamentieren und den Online-Handel zu verteufeln. Dass jemand digital bestellt und sich den Einkauf per Lieferdienst nach Hause schicken lässt, ist dermaßen üblich, dass es auch weiterhin eine vielfach genutzte Form des Einkaufens bleiben wird. In gewisser Weise hat es das alte analoge Bestellen bei den großen Versandhäusern mit ihren dicken, schweren Katalogen abgelöst.
„Aus welchem Grund soll denn überhaupt noch jemand in einem Laden in der Innenstadt einkaufen?“ Das ist die Kernfrage, die sich Ralf Gerber stellt – einer der beiden Kirchheimer Preisträger des Ideenwettbewerbs „Best Practices“. Er stellt sich diese Frage aber nicht resignierend, sondern aus beruflichem Interesse, um aus der richtigen Antwort heraus neue Wege finden zu können. Seine Antwort lautet: „Weil man im Laden auf Leute trifft, die sich auskennen und die Bescheid wissen. Keiner will fünf Hosen probieren, bis erst einmal die passende Größe herausgefunden ist.“ Klare Sache: In den Läden gibt es geschultes Personal, mit entsprechender praktischer Erfahrung.
Ralf Gerber hat deswegen eine Aus- und Weiterbildungsakademie ins Leben gerufen, um seinen Mitarbeiterstab immer auf dem neuesten Stand halten zu können. Ob es da um die Informationen über die neuesten Prospekte geht oder um die internen Prozesse bei Kundenbestellungen, alles das wird vermittelt – unter anderem auch über eine firmeninterne Online-Plattform. Jede Information lässt sich da jederzeit abrufen, auf dem aktuellen Stand. Das Problem, qualifiziertes Personal zu finden, gibt es mittlerweile in jeder Branche. Was liegt also näher, als das Personal selbst intern beständig weiterzuqualifizieren?
Der andere Preisträger aus Kirchheim ist Karl-Michael Bantlin. Auch er erklärt die Digitalisierung nicht zum großen Feind des Einzelhandels, sondern will sie für seine eigenen Zwecke nutzen – als Händler vor Ort. Sein „Best-Practices-Konzept“ heißt „Lokale digitale Marketing-Kooperation“. Er hat digitale Stelen angeschafft, die im Schaufenster auf seine Angebote aufmerksam machen, auch auf die Online-Angebote.
Die Hochformat-Bildschirme stehen aber nicht nur in seinen eigenen Schaufenstern. Er verleiht sie auch regelmäßig – an Kirchheimer Kollegen. Alle sollen in gleicher Weise davon profitieren, denn die Stelen machen jeweils für alle Kooperationspartner Werbung, in allen Schaufenstern, die dadurch während des Kooperationszeitraums miteinander vernetzt sind. So macht Karl-Michael Bantlin eben auch mal Werbung für Herrenmode, für Schmuck oder für ein Café – genauso wie für Taschen oder für Brillen. Umgekehrt machen alle diese Läden zeitweise eben auch Werbung für ihn und seine Damenmode.
Die ganze Innenstadt profitiert
„Davon profitieren letztlich alle, denn diese Zusammenarbeit bringt Frequenz in die Innenstadt“, sagt Karl-Michael Bantlin. Wie wichtig das Zusammenspiel aller Kräfte ist, hatte sich nicht zuletzt im November 2020 gezeigt, als alle gastronomischen Betriebe wegen der Pandemie geschlossen waren, die Händler aber ihre Läden weiterhin öffnen durften. Ergebnis: Die Gäste nehmen die Innenstadt als Gesamterlebnis wahr und kommen wegen dem kompletten Angebot. Bricht auch nur eine Säule weg, bleiben die Besucherströme allgemein aus. Auch die Kunden profitieren von der digitalen Kooperation: Sie erhalten Anregungen, wo sie weitere Angebote finden können, beispielsweise für die Vorbereitung eines großen Fests. Oder sie erfahren ganz unkomplizert, wo sie nach dem Einkauf noch einkehren können.
Kooperation gilt auch bei den „Best Practices“: Ralf Gerber und Karl-Michael Bantlin sind zwei von insgesamt 23 Preisträgern aus ganz Baden-Württemberg – ausgewählt aus 49 Einreichungen. Aber ihre Ideen sollen auf der Homepage des Ministeriums allen ihren Händlerkollegen zur Verfügung gestellt werden. Wo es nur geht, soll also die digitale Welt helfen, den lokalen Einzelhandel zu stützen und die Innenstädte lebendig zu halten.