Abenteuer
Wie ein Kirchheimer von Lhasa nach Kathmandu geradelt ist

Der Kirchheimer Klaus Reinsch ist auf einem alten Stahlesel 1200 Kilometer durch Tibet und Nepal gefahren. Über eine Reise, die selbst den 68-jährigen Extremradler an seine Grenzen gebracht hat. 

Radeln vor atemberaubender Kulisse: Das hat Klaus Reinsch auf seiner Reise besonders begeistert. Foto: Klaus Reinsch

Vier Wochen. 15 Radtage. 1200 Kilometer. Rund 10.000 Höhenmeter. Täglich über einen Fünftausender. Und das mit 68 Jahren! Die Eckdaten der Reise, die Klaus Reinsch von Lhasa, der Hauptstadt Tibets, nach Kathmandu in Nepal geführt hat, klingen ganz schön verrückt. Als Teil einer siebenköpfigen Gruppe hat sich der passionierte Kirchheimer Radler auf dieses Abenteuer gewagt. Durch China zu fahren, ist nicht trivial. Entsprechend aufwendig waren die Vorbereitungen. Mit einer Sache hat der Hobby-Sportler allerdings nicht gerechnet: Wie schwer der Sauerstoffmangel die Reise machen wird.

 

Man hat sich die Pässe hochgequält.

Klaus Reinsch

 

Doch zurück zum Anfang: Im Mai fliegt die kleine Gruppe nach Xinin, einer Stadt in China, die auf 2700 Metern Höhe liegt. Dort verbringt sie drei Nächte, um sich an den Sauerstoffmangel zu gewöhnen. Anschließend steigen Reinsch und die anderen in die „Tibet-Eisenbahn“, um in 24 Stunden nach Lhasa zu fahren. „Da sind die ersten Leute umgekippt. Ständig kam der Notarzt“, erinnert sich Klaus Reinsch. Er selbst leidet unter Kopfschmerzen, kann nicht schlafen – zwei Begleiterscheinungen der Höhe, die ihn und viele andere Radler während der gesamten Reise nicht mehr verlassen werden. Drei Nächte verbringt die Gruppe in Lhasa, besichtigt Klöster und andere Sehenswürdigkeiten. In der Hauptstadt Tibets erhält die Gruppe auch die Räder. Allerdings sind sie nicht aus dem Material, das man sich für eine solche Mammut-Tour wünschen würde. „Das waren richtige Stahlesel. Die einfachsten Räder, die man sich vorstellen kann“, sagt Reinsch, der bei der ersten Probefahrt feststellen muss, dass der Sauerstoffmangel ihm jegliche Kraft geraubt hat. Ein tibetischer Guide, der eine ganze Tasche voller Genehmigungen und Dokumente bei sich trägt, soll die Gruppe begleiten. Allerdings spricht er nicht gut Englisch.

Dann geht es los. Der erste Pass führt die Gruppe, zu der auch Reinschs Lebensgefährtin gehört, auf 4600 Meter Höhe. „Das war ganz anders als daheim. Man hat das Gefühl, man erstickt“, sagt Klaus Reinsch mit der Nüchternheit eines Mannes, der dieses Abenteuer bereits hinter sich hat. Der 68-Jährige ist topfit, fährt 10.000 Kilometer Mountainbike pro Jahr. Trotzdem habe er die Höhe schlechter weggesteckt als andere Teilnehmer, die weniger trainiert sind, sagt er. Jeder und jede verkraftet den Sauerstoffmangel unterschiedlich gut, kein Tag gleicht dem anderen. Wichtig sei es gewesen, gut nacheinander zu schauen. „Manche saßen auf ihren Rädern wie Zombies und sind einfach immer weitergefahren, und irgendwann merkte man: Man muss den jetzt runterholen, sonst kippt der um“, erinnert sich Klaus Reinsch.

Jeder musste mal pausieren

Leicht fällt das Radeln in großer Höhe niemandem. „Man hat sich die Pässe hochgequält“, sagt Reinsch. Immerhin werden Gepäck, Equipment und Verpflegung von einem Lkw und dem Begleit-Pkw transportiert. Weil es unterwegs kaum Infrastruktur gibt, muss alles mitgenommen werden. Wer nicht mehr kann, darf eine Runde Autofahren. „Jeder von uns hat mal einen oder zwei Tage auf dem Lkw verbracht“, sagt Reinsch. 

Was nach purer Quälerei klingt, hat auch eine schöne Seite. Wenn er von der menschenleeren Landschaft erzählt, in der es praktisch keinen Verkehr gibt, von der Weite, vom Blick auf die Achttausender, vom ständig blauen Himmel, gerät Klaus Reinsch richtig ins Schwärmen. Die Tibeter und ihre Religiosität haben den Wahl-Kirchheimer, der aus der „Heilbronner Ecke“ stammt, stark beeindruckt. „Was die jeden Tag an Zeit aufwenden für ihren Glauben, das ist schon sensationell.“ Sehr erhebend sei es auch gewesen, vor dem Mount Everest zu stehen. „Da hatte ich Tränen in den Augen“, erinnert sich Klaus Reinsch. Ob er versucht gewesen sei, hochzusteigen? „Keine Chance“, sagt er. 

 

Da hatte ich Tränen in den Augen.

Der Kirchheimer über das Gefühl, vor dem Mount Everest zu stehen.

 

Wie als Ausgleich für die dünne Luft bleibt die Reisegruppe immerhin von Extremwetter verschont. „Morgens waren die Temperaturen niedrig einstellig. Und tagsüber war es fast schon wieder zu viel. Die Sonne ist wahnsinnig intensiv da oben“, erzählt Klaus Reinsch. Auch die Unterkünfte und das Essen sind besser als erwartet. „Die Ernährung ist sehr fleischlastig. Getrunken wird den ganzen Tag Buttertee, also Schwarztee mit Yak-Butter. Man gewöhnt sich dran, aber unser Favourite war es nicht.“

Obwohl Klaus Reinsch schon einmal mit dem Rad durch China gefahren ist, hat ihn auch dieses Mal das Maß der Überwachung und Kontrolle befremdet. Einmal habe der örtliche Kommissar den Aufenthalt im vorgebuchten Hotel verboten, weil ausländische Gäste angeblich nicht übernachten dürften. „Es gibt Überwachungskameras an allen Ecken und Enden, sogar in der Pampa.“ Wenn man abends ins Hotel gekommen sei, habe sofort die Polizei die Pässe einkassiert und sie erst am nächsten Morgen wieder zurückgegeben. „Das ist China, das muss man so in Kauf nehmen“, sagt Reinsch, der bereits seine nächste Radreise in Angriff genommen hat. Und zwar von Kirchheim ans Schwarze Meer.

Zur Person

Klaus Reinsch reist schon sein ganzes erwachsenes Leben lang. Als er 22 ist, kauft er sich ein Einfach-Ticket nach New York und fährt ein Jahr lang durch die USA und Kanada. Anschließend trampt er mit dem Rucksack durch Zentral- und Südamerika, später durch den Amazonas. Mit dem Rad war er unter anderem in Afrika und China unterwegs. „Ich habe von jung an immer den Drang gehabt, irgendwohin zu gehen“, sagt der heute 68-Jährige über sich. Wie er sich das leisten konnte? „Bescheidenheit beim Reisen“, lautet die Antwort. Dass sein Hobby nicht klimafreundlich ist, weiß er. Dafür fahre er in Deutschland nicht Auto. Reinsch ist unter anderem als Reiseführer bei „ChinabyBike“ tätig, jenem Unternehmen, das Radreisen von Lhasa nach Khatmandu anbietet. adö