Der 23. März wäre um ein Haar der letzte Tag ihres Lebens geworden. An diesem Sonntag besucht Maria Lonsdorfer die Firmung ihres ältesten Enkelkindes. Nach dem Kaffeetrinken fährt sie mit ihrem Mann in die gemeinsame Wohnung in Tübingen-Kilchberg, und ab diesem Moment verblassen die Erinnerungen. „Mein Mann hat mir erzählt, dass mir nicht ganz wohl war“, sagt die 67-Jährige, die bis vor kurzem in Nabern gewohnt hat. Sie geht früh zu Bett.
Gegen 22 Uhr hört Maria Lonsdorfer auf, zu atmen. Herzstillstand.
Zum Glück erkennt ihr Mann die Notlage sofort, setzt einen Notruf ab. Die Leitstelle schickt nicht nur einen Rettungswagen, sondern alarmiert über die App „Region der Lebensretter“ Ersthelfer in der Nähe der Patientin. Das System gibt es seit 2018. Es ist gegründet worden, um die Zeit zwischen Alarmierung und Eintreffen des Rettungswagens zu überbrücken. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zählt jede Minute, Rettungswagen brauchen jedoch in der Regel zehn bis zwölf Minuten. Für ein Überleben ohne bleibende Schäden ist das zu spät. In Deutschland enden neun von zehn Herz-Kreislauf-Stillständen noch immer tödlich.
Helfer reagieren schnell
Maria Lonsdorfer hat Glück: Ihr erster Helfer sprintet schon nach weniger als zwei Minuten durch die Tür und hilft dem Ehemann, sie auf den Boden zu legen. Sofort beginnt er mit der Herzdruckmassage. Zwei junge Frauen folgen kurze Zeit später, leiten die Beatmung ein. Alle drei sind jung und medizinisch ausgebildet. Malte Steinmann ist 21 Jahre alt und arbeitet als Notfallsanitäter. Stefanie Schneider und Inken Toellner (26 und 23 Jahre alt) bringen Equipment für die Beatmung mit. Beide arbeiten tagsüber als Operationstechnische Assistentinnen (OTA). Nach nur sieben Minuten trifft der Rettungswagen ein, dessen Besatzung die Versorgung übernimmt.
Maria Lonsdorfer lebt zum Zeitpunkt ihres Herzstillstands noch nicht lange in Kilchberg. Zuvor haben sie und ihr Mann 14 Jahre in Nabern verbracht. „Ich hatte Kirchheim sehr lieb gewonnen“, sagt Maria Lonsdorfer, die aus familiären Gründen nach Tübingen gezogen ist. Dass der Herzstillstand sie in einer Gegend getroffen habe, in der das Projekt „Region der Lebensretter“ schon sehr weit entwickelt ist, sei jedoch ihr Glück gewesen, sagt sie. Im Landkreis Esslingen ist das Projekt noch relativ jung, Start war im Herbst 2024. Aktuell sind 652 Lebensretter aktiv und können bei Herzstillständen alarmiert werden (siehe Info).
Maria Lonsdorfer ist ihren drei Lebensrettern unendlich dankbar und wünscht sich, dass auch rund um Kirchheim noch mehr Lebensretter gefunden werden, um Menschen wie ihr in einer lebensbedrohlichen Situation zu helfen. Um das Projekt bekannter zu machen, geht die Ex-Kirchheimerin, die selbst ihr ganzes Leben lang im medizinischen Bereich gearbeitet hat, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Die Landesschau und verschiedene Lokalzeitungen haben bereits berichtet.
Am Telefon klingt Maria Lonsdorfer gesund und munter, fast schon euphorisch. Zehn Tage Krankenhaus und drei Wochen Reha im Schwarzwald hat sie hinter sich. „Ich bin jetzt fitter als vorher“, sagt sie lachend. Dank dem Defibrillator, der ihr in die Brust eingebaut worden ist, muss sie keine Sorge vor einem neuen Herzstillstand haben. Sie sehe heute vieles mit anderen Augen, sagt die 67-Jährige. „Bruddler“ habe sie noch nie besonders leiden können, aber nach ihrem Herzstillstand kann sie endgültig nicht mehr begreifen, über welche Kleinigkeiten sich viele Menschen ärgern. Und eines geht für sie überhaupt nicht mehr: „Wenn jemand über die ‚Jugend von heute‘ schimpft“. Auf ihre drei Lebensretter lässt sie nämlich nichts kommen – und ist überzeugt davon, dass es da draußen noch viel mehr von ihnen gibt.