Den Schrei der Schildkröte bekommt Petra Werthschütz nicht mehr aus dem Ohr: Als die Kirchheimerin im vergangenen Jahr Urlaub auf den Malediven macht, nimmt sie an einem „Umwelttag“ teil, an dem sie hilft, das Wasser von Müll und den Strand von Mikroplastik zu reinigen. Unter anderem begegnet ihr eine Schildkröte, der etwas in der Nase steckt. „Es war ein Plastikstrohhalm“, sagt Werthschütz. Jemand zog dem Tier den Fremdkörper aus der Nase, „sonst wäre es verendet“. In diesem Moment fiel der Entschluss: Die Friseurin wurde Mitglied im Verein „Hair Help the Oceans“.
Fortan landete das Haar der Kundschaft nicht mehr im Restmüll, sondern in zwei großen Papiersäcken, die die Kirchheimerin circa ein Mal im Monat an die Organisation in Niedersachsen verschickt. Rund sechs Kilo Haare unterschiedlichster Couleur und Beschaffenheit kommen jeden Monat im „My Cut“ zusammen. Doch was zählt, sind die Eigenschaften der Haare, die sie für die Meeressäuberung perfekt machen: „Haare haben die Fähigkeit, Öle und Fette aufzusaugen“, sagt Wertschütz. Ein Kilo davon könne acht Kilo Schadstoffe wie Öl, Treibstoffreste und Sonnenmilch aufnehmen. In Nylonstrümpfe gestopft, werden die „Haarwürste“ zu großen Teppichen gefertigt, die ausgelegt oder hinter Booten hergezogen werden können. Auch in Flüssen oder Seen oder bei Ölkatastrophen können sie zum Einsatz kommen. Acht Mal werden die Haarteppiche wiederverwendet, dann sind sie ein Fall für den Sondermüll.
Bei den Kunden kommt diese Art der Verwertung sehr gut an. „Meine Kundinnen, die ihren Männern zu Hause die Haare schneiden, bringen mir sogar die Schnipsel in Tüten“, sagt Werthschütz. Als Friseurin sei es schwierig, umweltbewusst zu agieren, weil man notgedrungen mit vielen Chemikalien arbeite. Sie sieht die Teilnahme an „Hair Help the Oceans“ als eine Art Kompensation. „Ich finde es toll, dass jeder Kunde etwas Gutes tun kann, nur, weil er hierher zum Haareschneiden kommt“, sagt Werthschütz. „Wir können nicht alles ändern, aber wenn jeder Mensch einen kleinen Beitrag leistet, ist das auch schon was.“
Die Friseurin, die gemeinsam mit ihren Kolleginnen Simona Hennig und Sarah Moll den Laden schmeißt, feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Seit 2008 befindet sich der Salon „My Cut“ im ökologisch hochwertigen „Eisbärhaus“. Werthschütz würde sich wünschen, dass noch mehr Friseursalons ihre Haare spenden, anstatt sie in den Müll zu werfen. Es sei auch möglich, ihr die Haare zu bringen, sagt sie. 83 000 Friseure in Deutschland nehmen aktuell an der Aktion teil. Jedes Haar zählt.