Bürokratieabbau
Wie Nachbarn an Macht verlieren

Anwohner können schon bald keinen Widerspruch mehr einlegen, wenn ihnen ein Bauvorhaben in direkter Nachbarschaft nicht passt. Unternehmer und Politik erhoffen sich mehr Tempo beim Bauen. 

Bauunternehmen haben bei Neubauprojekten häufig mit Widersprüchen aus der Nachbarschaft zu tun. Symbolfoto: Carsten Riedl

In der vergangenen Woche ist ein Gesetz in Kraft getreten, das der Baubranche zu neuem Schwung verhelfen soll. „Gesetz für das schnellere Bauen“ heißt es, und der Titel ist nicht weniger als ein Versprechen an die Unternehmen, die seit Jahren darüber klagen, dass überbordende Bürokratie und hohe Preise sie ausbremsen. Der Landtag hat den Gesetzentwurf der grün-schwarzen Landesregierung mit großer Mehrheit verabschiedet, auch die Verbände hatten sich im Vorfeld fast durchweg positiv geäußert. Das ist auch kein Wunder, denn der Inhalt des Gesetzes liest sich wie ein Forderungskatalog der Baubranche. Die Genehmigungsfiktion, also ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren, ist darin beispielsweise ebenso enthalten wie der Abbau baulicher Standards. „Der ganze Prozess soll schneller, einfacher und damit günstiger werden“, fasst die Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Natalie Pfau-Weller das Gesetz zusammen.

 

Dieses Ausmaß an Individualrechten hat Dimensionen erreicht, dass es uns als Gesellschaft lähmt.

Hans-Peter Birkenmaier, Bauunternehmer

 

Ein Aspekt des Gesetzes, den auch Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag spüren werden, ist die Abschaffung des baurechtlichen Widerspruchsverfahrens. Anwohner können also künftig keinen Widerspruch mehr einlegen, wenn sie mit einem Bauvorhaben, das in direkter Nachbarschaft entsteht, nicht einverstanden sind. „Es ist aber nicht so, dass die Bürgerinnen und Bürger überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, sich zu wehren. Wenn etwas nicht rechtens ist oder der Bebauungsplan nicht eingehalten wird, bleibt immer noch die Klage vor dem Verwaltungsgericht“, sagt Dr. Natalie Pfau-Weller, die auch Mitglied im Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen ist.

Für Bauunternehmer wie Hans-Peter Birkenmaier ist die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens natürlich ein Grund zur Freude. „Die Nachbarschaftseinsprüche verzögern Bauprojekte immer, teilweise um Monate“, sagt Birkenmaier, der sich nach eigener Aussage mittlerweile bei jedem zweiten Projekt mit Widersprüchen beschäftigen muss.

Oft gehe es dabei um drei Dinge: die Höhe des Gebäudes, die Parksituation und die Befürchtung, dass künftig mehr Verkehr im Viertel sein wird. Nichts davon ist baurechtlich relevant, solange sich der Bauträger an den Bebauungsplan gehalten hat. Trotz der schlechten Erfolgsaussichten müsse sich die Baubehörde jedoch mit dem Widerspruch auseinandersetzen und abwägen, bevor die Baugenehmigung erteilt werden kann.

Das ist nicht nur für den Bauträger teuer. „Die Kosten, die den Behörden für die Prüfung der Widersprüche entstehen, bleiben beim Steuerzahler“, sagt Hans-Peter Birkenmaier. Weil laut dem Bauunternehmer immer mehr Bürger Anwälte beauftragen, die in ihrem Namen Widerspruch einlegen, ist der zeitliche und finanzielle Aufwand bei den Behörden in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. „Die Mitarbeiter müssen dann sehr sorgsam abwägen, sodass weder inhaltlich noch formal etwas angreifbar ist, und teilweise selbst juristischen Rat in Anspruch nehmen.“

Verhindert habe ein Widerspruchsverfahren eines seiner Bauprojekte noch nie, sagt Birkenmaier. Man sei aber in der Vergangenheit durchaus Kompromisse eingegangen. Dass Bauunternehmer das künftig weniger nötig haben werden, weiß er. Der Unternehmer rechnet für die Zukunft mit weit weniger Verzögerungen als bisher, weil die Hürde, vors Verwaltungsgericht zu ziehen, größer sei. „​Das baurechtliche Widerspruchsverfahren ist für den Bürger kostenlos, wenn er sich keinen Rechtsanwalt nimmt“, sagt Birkenmaier. Wer Klage vor dem Verwaltungsgericht einlege, habe hingegen von Anfang an Kosten.

Haus und Grund kritisiert Abschaffung

Kritik an der Abschaffung des baurechtlichen Widerspruchsverfahrens kommt von Haus und Grund. Der Landesverband Württembergischer Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, der auch in Kirchheim einen Ortsverband hat, beklagt, dass damit eine niederschwellige Art des Widerspruchs verloren gehe. „Die Beteiligten vor Ort kennen die Gegebenheiten“, sagt Vorstand Sebastian Nothacker. Jetzt zwinge man die Leute dazu, unmittelbar Klage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben. „Damit wird die Arbeit von den Baurechtsbehörden weg zu den Verwaltungsgerichten delegiert“, kritisiert er. Eigentlich würden die Experten bei den Regierungspräsidien sitzen. Außerdem weist Nothacker den impliziten Vorwurf, der für ihn mitschwingt, zurück. „Nicht jeder Nachbar, der da Widerspruch einlegt, hat eine querulatorische Ader“, sagt er. „Wir bräuchten dieses Widerspruchsverfahren nicht, wenn die Behörden immer recht hätten.“ Es gehe um Bürger, die ihre berechtigten Rechte geltend machten.

Die Reform der Landesbauordnung (LBO) unterstützt der Landesverband jedoch grundsätzlich. „Wir haben Fälle bei unseren Mitgliedern, bei denen die LBO-Reform dazu führen wird, dass Projekte deutlich voran kommen“, sagt Sebastian Nothacker. adö