Die Menschen bei psychischer Gesundheit zu halten, das sei ihre Hauptaufgabe gewesen in dieser Zeit, erzählt Thyra Strohmayer. Zwei Bewohner der Außenwohngruppe am Ziegelwasen in Kirchheim mussten 14 Tage in Quarantäne, weil sie Kontakt zu einem positiv Getesteten hatten. Sie selbst waren negativ. Acht Menschen mit einer geistigen Behinderung leben in der Außenwohngruppe. Anders als in einer Familie mit einem Mitglied in Quarantäne gelten sofort gesetzliche Bestimmungen. Kann man als Mutter oder Vater noch selbst entscheiden, wie viel Abstand man zum Kind in Quarantäne wirklich hält, haben die Mitarbeiter in Pflege- und Behinderteneinrichtungen keine Wahl.
„Es war wirklich schwer“, erzählt Thyra Strohmayer. Die 36-Jährige hat eigentlich strahlende Augen und bringt in jeden Raum, den sie betritt, Ruhe mit. Doch jetzt sei sie immer noch nah am Wasser gebaut, sagt sie. Obwohl die Quarantäne-Zeit bald zwei Wochen her ist. Sie wurde eine der Haupt-Betreuerinnen der beiden Bewohner in Quarantäne. Und als das feststand, hat sie als Erstes ihrem Freundeskreis gesagt: „Leute, ich bin jetzt für zwei Wochen raus.“ Alle Kontakte außerhalb der Arbeit hat sie eingeschränkt, nur noch ihren Freund gesehen. Aber das Schwerste war für sie, dass sie das Gegenteil von dem tun musste, was eigentlich ihr Beruf ist. Ihre Aufgabe war jetzt: Die Menschen zu trennen, Abstand zu halten, Türen zu schließen.
Essen war der pure Wahnsinn
Zum Beispiel seien alle Mahlzeiten der pure Wahnsinn gewesen. Erst habe sie mit den anderen Bewohnern gekocht, sie alle an den Tisch gesetzt und sie dann gebeten, schon mal zu essen. Anschließend sei sie in den Keller gerannt, in den Raum mit der Schutzausrüstung. Dort habe sie sich grüne Handschuhe, FFP2-Maske, Haarnetz, Schutzkittel und Schutzbrille angezogen und sei dann schnell hoch in die Küche, um das Tablett mit dem Essen für den ersten Quarantäne-Bewohner zu holen. Das Essen habe sie dann ins Zimmer gebracht, kurz geredet, die Schutzausrüstung noch im Zimmer in einen luftdichten Sack geworfen, sei dann wieder runter in den Keller gerannt - alles von vorn für den zweiten Bewohner in Quarantäne. Und das fünfmal am Tag.
„Du siehst und hörst schlecht in Vollmontur und desinfizierst immer nur hinter dir her. Das macht psychisch was mit dir“, sagt Thyra Strohmayer. Sie habe sich aber vor allem deshalb immer so beeilt, weil sie den anderen Bewohnern nicht im Schutzanzug begegnen wollte. Sie wusste, dass man so vor ihr Angst bekommen könnte.
Und dazu musste sie ständig Nein sagen. Die eine Bewohnerin schläft gern bei angelehnter Zimmertür, eigentlich völlig in Ordnung, jetzt in Quarantäne verboten. Die anderen machten den Vorschlag, doch einen Bürostuhl mit Rollen zwischen den Quarantäne-Zimmern hin und her zu schubsen, mit kleinen Botschaften an den anderen Mitbewohner auf der Sitzfläche. Von Isolation zu Isolation. Thyra Strohmayer lächelt. „Die Menschen haben versucht, den besten Weg zu finden. Und ich musste zu allem immer nur Nein, Nein und Nein sagen.“
Und wie ging es den Menschen mit Behinderung 14 Tage allein im Zimmer? Eine Frau mit Downsyndrom erzählt, sie sei eh ganz gern allein. Nur die Bewegung, das Laufen, die Arbeit hätten ihr sehr gefehlt. Der andere Bewohner hatte immer wieder Angst. Deshalb ist er bei diesem Gespräch auch nicht dabei. Er versucht, die Zeit der Isolation zu verarbeiten.
„Manchmal haben die Menschen geweint, wenn ich im Zimmer war. Dann stand ich da in meiner Schutzausrüstung in der einen Ecke und in der anderen Ecke wollte ein Mensch in den Arm genommen werden“, erzählt Thyra Strohmayer. „Und du darfst nicht.“ Vor Corona hat sie das natürlich gemacht, die Menschen immer mal ein paar Minuten im Arm gehalten. Jeder brauche doch Körperkontakt, sagt sie. „Ich habe dann all meine Stärke gesammelt und in meine Stimme gelegt. Bin ruhig stehen geblieben, war da.“ Diese Zeit miteinander auszuhalten, da zu bleiben, das sei jetzt ihre Aufgabe in der Pandemie.