Auschwitz ist ein Weltkulturerbe der Unesco - und das sogar schon seit 1979! Dr. Jonas Takors wird persönlich: „Als ich das zum ersten Mal gehört habe, war ich erschüttert.“ Das sollte eigentlich jedem so gehen, denn üblicherweise ist man stolz auf die Welterbestätten - egal, in welchem Land sie liegen -, und normalerweise sucht man ein Weltkulturerbe auch gerne auf, weil es großartig ist und eindrucksvoll. Man erstarrt in Ehrfurcht, weil die Menschheit so etwas Grandioses geschaffen hat.
Aber Auschwitz? Nichts dergleichen - außer, dass die Dimensionen auch dort groß sind. Aber es sind die Dimensionen des Schreckens, des Erschreckens darüber, was Menschen im Lauf der Geschichte eben auch fertiggebracht haben. Nicht um das Wahre, Gute, Schöne geht es hier, sondern ums genaue Gegenteil; nicht um Kultur, sondern um Unkultur.
Jonas Takors berichtet weiter: „Später wurde mir klar, dass auch Auschwitz zum Erbe der Menschheit gehört. Wir müssen die Erinnerung daran bewahren.“ Der Status als Welterbe schützt die Stätte davor, dass man sie einreißt, um mit dem Ort auch das Gedenken daran auszulöschen.
„Wir sind heute hier, um diese Erinnerung zu bewahren“, sagt Jonas Takors zu den Neuntklässlern des Kirchheimer Schlossgymnasiums, die jedes Jahr am 27. Januar den Holocaust-Gedenktag begehen. Die Tradition, zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine Gedenkfeier zu veranstalten, gab es am Schlossgymnasium schon vor 1996, als der damalige Bundespräsident Roman Herzog den bundesweiten Gedenktag ins Leben rief.
Dr. Markus Ocker, der seit vielen Jahren zu den Organisatoren des Gedenktags gehört, erinnert an Zeitzeugen, die das Schlossgymnasium bereits besucht haben. Einer davon war ein ehemaliger Schüler, der berichtete, wie er auch in der jungen Bundesrepublik, in den 50er-Jahren, wegen seiner jüdischen Abstammung noch unter den Ressentiments vieler Lehrer zu leiden hatte.
Damals war der Holocaust auch noch kein Thema, wie Ann Bürgel den Neuntklässlern erzählt: „Bis in die frühen 60er-Jahre hinein hat man ein idealisiertes Bild der Gegenwart gepflegt, das Bild vom schönen, aufblühenden Westdeutschland nach dem Krieg. Kritische Stimmen galten als die Stimmen von Störenfrieden.“
Das galt auch für die Frankfurter Auschwitz-Prozesse ab 1963. Aussagen aus dem ersten Prozess hat Peter Weiss bereits 1965 in seinem Theaterstück „Die Ermittlung“ verarbeitet. So berichtet eine Überlebende von der Selektion, bei der sie - im Gegensatz zu ihrer Familie - den Arbeitsfähigen zugeteilt worden war, also denjenigen, die noch eine minimale Überlebenschance hatten: „Für einen Augenblick sah ich meine Mutter bei den Kindern. Da war ich beruhigt und dachte, wir werden uns schon wiederfinden.“
Auch ein Angeklagter kommt zu Wort, der sich auf Unwissenheit und auf den Befehlsnotstand beruft: „Als ich abkommandiert wurde, wusste ich nicht, wohin ich kam. Ich weiß überhaupt nicht, was man jetzt von mir will. Ich habe nur Befehle ausgeführt.“
Einer der Täter zeigt späte Reue
2015 kam es dann in einem der späten Auschwitz-Prozesse zu ganz anderen, einmaligen Aussagen eines Angeklagten. Eine Schülergruppe zitiert daraus in der Mensa des Schlossgymnasiums: Der inzwischen verstorbene Oskar Gröning sagte bei der Verhandlung in Lüneburg, dass er etwas Wichtiges gelernt habe. „Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte. Ich hätte Auschwitz schon viel früher verlassen müssen.“ Seine Aussagen waren auch deshalb außergewöhnlich, weil sich sonst kaum je ein Angeklagter einsichtig gezeigt hat oder Reue erkennen ließ. Oskar Gröning versuchte auch nicht, das Geschehen zu bagatellisieren.
Eine Bagatellisierung wäre auch völlig grotesk, angesichts einer einzigen Zahl, die Jonas Takors den Neuntklässlern nennt: „In den Krematorien in Auschwitz konnte man innerhalb von 24 Stunden 4 756 Menschen einäschern.“ Als sich die Niederlage im Krieg abzeichnete, begannen die Nazis bereits im Sommer 1944 mit der Demontage der Krematorien. Vor dem Anrücken der Roten Armee wurden noch 58 000 Insassen auf Todesmärsche geschickt. Heute gibt es zum Gedenken daran „Märsche der Lebenden“.
Allerdings gibt es immer weniger Zeitzeugen, denn das Ende des Konzentrationslagers Auschwitz liegt 75 Jahre zurück. Dafür nehmen viele junge Menschen an den Märschen der Lebenden teil. Viele von ihnen sind Nachkommen der Überlebenden. Sie zeigen damit, dass nicht alle das Schicksal des Kälbchens aus dem bekannten Lied „Dos Kelbl“ oder auch „Donna Donna“ teilen mussten. Manchen gelang es auch, unter unendlichen Mühen, wie die Schwalbe im Lied frei davonzufliegen und der Schlachtbank zu entkommen. Ein Schülerduo hat mit diesem Lied den passenden Rahmen für das gestrige Gedenken am Schlossgymnasium gesetzt.