Schritt für Schritt geht es die Treppen im Kirchheimer Otto-Ficker-Areal hinunter. Im Keller angekommen, öffnet Viola Fichtenkamm per Codeeingabe die schwere Türe. Dahinter öffnen sich die langen Gänge des Museumsdepots der Städtischen Sammlung, gefüllt mit Regalen voller Zeitgeschichte. Rund 40 Meter lang und zehn Meter breit ist die größte von sechs auf das Stadtgebiet verteilten Lagerflächen. „Hier lagern Objekte, die entweder in Kirchheim ausgestellt wurden oder ansonsten in Verbindung zur lokalen Geschichte stehen. 90 Prozent davon sind Schenkungen von Bürgerinnen und Bürgern, unter den restlichen zehn Prozent sind Kunstwerke, einige davon aufgekauft.“ Viola Fichtenkamm kennt die Regalinhalte wie ihre Westentasche. Die Sammlungskuratorin der Stadt hat die Stücke katalogisiert. Rund 14 590 sind aktuell vermerkt, samt Foto, einer Zustandsbeschreibung und den (historischen) Hintergrundinformationen. „Kleine Einzelteile, wie das Besteck und Geschirr aus den Puppenküchen werden nicht aufgeführt. Mit all diesen wären es wohl um die 20 000 Objekte", erklärt Viola Fichtenkamm, die seit zehn Jahren für die, wie sie sagt, „wissenschaftliche Lagerleitung“ zuständig ist.
An diesem Vormittag ist sie nicht allein im Museumsdepot. Mit dabei sind Stefanie Schwarzenbek, Museumsleiterin der Stadt, sowie die Teilnehmer der Führung durch die Sammlung. „Die Idee, Führungen anzubieten, entstand 2022 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des früheren Heimatmuseums, dem heutigen Städtischen Museum im Kornhaus", erzählt Stefanie Schwarzenbek. Einmal pro Monat, entweder unter der Woche oder am Wochenende, öffnet das größte Museumsdepot seine Türen für die Öffentlichkeit. Auch private Führungen sind möglich, etwa mit einem thematischen Fokus auf der Archäologie. „Die eingelagerten archäologischen Funde stammen aus der Zeit vor 1971. Danach gilt das Bodendenkmalgesetz. Sprich alles, was gefunden wird, gehört automatisch dem Land Baden-Württemberg“, erklärt Stefanie Schwarzenbek.
Direkt nach dem Betreten des riesigen Lagerraums steht man vor einem Regal voller Gemälde. Um die 900 Bilder von Künstlern aus Kirchheim und der Region sind eingelagert, „darunter ist ein mittelalterliches Tafelgemälde“, erfahren die Besucher von Viola Fichtenkamm. Eine ganz besondere Form sind die so genannten Haarbilder. Ein solch sehr filigranes Kunstwerk hält Stefanie Schwarzenbek in den Händen. Geschützt durch ihre Handschuhe, sozusagen ein Pflicht-Accessoire im Umgang mit den historischen Stücken des Museumsdepots. „Im 19. Jahrhundert waren die Haarbilder als Erinnerungsstücke an geliebte Personen sehr verbreitet. Damals gab es den Beruf des Haarknüpfers“, erklärt Schwarzenbek. Für das von ihr gezeigte Bild wurden beispielsweise Haare des 1874 mit nur acht Jahren verstorbenen Johann Christian Haas verwendet. „Die Haarbilder waren Erinnerungen an Verstorbene, genauso aber auch an schöne Anlässe wie eine Hochzeit. In England wurde etwa die Schnur der Taschenuhr des Gentleman aus den Haaren seiner Verlobten geknüpft“, beschreibt Stefanie Schwarzenbek eine frühere Tradition, „die heute etwas skurril anmutet“.
Weiter geht die historische Spurensuche. Beim Gang durch die Regale fällt der Blick auf eine Reihe alter Spielherde aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts. Sie wirken weniger wie Spielzeug, eher wie küchentaugliche Originale in Miniaturformat. „Das waren tatsächlich funktionsfähige Spielküchen mit Lehrfunktion. Die Küchen für die Mädchen, die Kaufmannsläden für die Jungen, die damit den Umgang mit Geld lernen sollten“, erklärt Schwarzenbek. Die Zeitgeschichte spiegeln in Sachen Stil und Ausstattung auch die Puppenhäuser wieder: „Sie wurden in den Familien über Generationen weitergegeben und immer mal wieder umgestaltet“, so Stefanie Schwarzenbek. Große Puppen finden sich ebenfalls einige, die älteste in einem aufwändigen Gewand stammt aus dem 19. Jahrhundert.
Zu den unzähligen historischen Schätzen der Kirchheimer Sammlung zählen ansonsten beispielsweise die Notgeld-Druckplatten der Stadtverwaltung vom Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zum Einsatz kamen. Die neuesten Nachrichten wurden mit der gut eine halbe Tonne schweren Druckpresse des Teckboten gedruckt, nachdem die Schriftsetzer die einzelnen Buchstaben von Hand an die richtige Stelle gebracht hatten. Die Kirchheimer Kaufmannsgeschichte erzählen alte Aufbewahrungsmöbel der Kolonialläden. Auf den Schubladen ist der Inhalt vermerkt: Zwetschgen, Haselnusskerne oder auch Dampfäpfel konnte man erwerben. Schwere Möbel, darunter in Kirchheim gefertigte Barockschränke, alte Kinderwägen und Holzschlitten, eine Reisetruhe von Herzogin Henriette oder Instrumente wie das selbstspielende Klavier (Pianola) samt Notenrollen gehören ebenso zur Sammlung. Landesweit für Schlagzeilen sorgten die beiden Krokodilkopf-Attrappen, die 2019 in den Bürgerseen bei Kirchheim schwammen. „Jedes Objekt, egal welcher Größe, erzählt eine Geschichte“, sagt Viola Fichtenkamm, „wir sammeln Zeitgeschichte.“
Info: Die nächsten Führungen finden sonntags am 14. April und 12. Mai um 11 Uhr statt. Treffpunkt ist der Eingang der Stadtverwaltung, Otto-Ficker-Straße 2. Die Teilnahme kostet drei Euro, eine Anmeldung ist per E-Mail an museum@kirchheim-teck.de oder telefonisch unter 0 70 21/50 23 77 nötig.