Kirchheim
„Wir sehen uns als Sprungbrett“

Soziales Seit anderthalb Jahren gibt es in Kirchheim das Mutter-Kind-Wohnen der Stiftung Tragwerk. Im Fokus stehen die Selbständigkeit der Mutter und mehr Sicherheit in der Erziehung. Von Thomas Zapp

In der Gemeinschaftsküche duftet es orientalisch. „Sie kocht immer sehr lecker“, sagt Sandrina über ihre Mitbewohnerin und lächelt. Die 26-Jährige fühlt sich sichtbar wohl in der weitläufigen WG im Haus der Zionskirche in Kirchheim. Es ist allerdings keine WG im herkömmlichen Sinne. Sandrina nutzt mit ihrem dreijährigen Sohn seit April das Mutter-Kind-Wohnen der Stiftung Tragwerk und bewohnt dort mit ihm ein eigenes Zimmer. Derzeit wohnen zwei weitere Mütter mit ihren Kindern in der geräumigen ehemaligen Hausmeisterwohnung der Methodisten-Gemeinde, in der es auch ein Wohnzimmer für alle gibt und einen Balkon mit Blick auf die Alb. Eine Mutter hat zwei Kinder und deshalb ein Doppelzimmer. Es ist eine schöne Wohnung und ein Ort der Ruhe, der für seine Bewohnerinnen unter „normalen“ Umständen wohl kaum zu bezahlen wäre.

Das Büro von Angelika Haug liegt vor dem Zugang zur Wohnung. „Ich bin immer ansprechbar“, sagt die gelernte Erzieherin. Sie und ihre vier Kolleginnen schauen zwar täglich bei den Bewohnerinnen und ihren Kindern vorbei, lassen sie aber möglichst viel selber machen. Bei den Hilfestellungen geht es im Alltag gleichermaßen um behördliche Fragen wie um Ratschläge und Techniken in Erziehungsfragen. Da setzt die Stiftung auch auf moderne Methoden, wie etwa das Programm Marte Meo. Dabei werden Videoaufzeichnungen zur Verhaltensbeobachtungen von Mutter und Kind genutzt. „Dabei betonen wir auch ausdrücklich die Sachen, die gut gelaufen sind“, sagt Angelika Haug. Derzeit sind drei Frauen im Alter von 18 bis 26 Jahren in der Einrichtung sowie vier Kinder, von denen das älteste fünf Jahre alt ist.

Während des Gesprächs schaut der dreijährige Sohn immer wieder ins Büro, um schließlich ganz da zu bleiben. Offenbar gehören für ihn die Beraterinnen schon zu Familie, was auch seine Mutter freut. Nach der Trennung von ihrem Mann hatte die junge Frau zunächst in einer WG gewohnt. „Das hat aber nicht so gut geklappt“, erzählt sie. Es gab dort noch eine weitere Mutter mit Kind und andere Bewohner. „Der Umgang war schwierig“, erinnert sie sich. Aber eine Wohnung allein kam für die Alleinerziehende nicht in Frage. „Drei-Zimmer-Wohnungen sind zu teuer“, sagt sie. Und bei kleineren Wohnungen winkten die Vermieter direkt ab, dass der Platz nicht reichen würde. Vielleicht war es aber auch eine Ausrede der Vermieter, weil sie bei einer alleinerziehenden Mutter Mietausfälle für wahrscheinlicher hielten. Das hat ihr zwar niemand gesagt, ausschließen kann sie es aber nicht.

Zunehmende Überforderung

Dabei hat sie in einer Anwaltskanzlei sogar einen Job, allerdings momentan wegen der Corona-Krise in Kurzarbeit. Mit kommunalen Hilfen und Zuschüssen kannte sie sich nicht aus und bei der Mutter gab es nicht genug Platz. Sandrina war mit der Situation zunehmend überfordert und nach einer kurzen Etappe in beengten Wohnverhältnissen bei ihrem Bruder war für sie klar: So konnte es nicht weitergehen. Sandrinas Familie hörte von dem Mutter-Kind-Angebot der Stiftung Tragwerk und wandte sich an das Jugendamt. Denn die Vermittlung muss grundsätzich über die Behörde laufen. „Wir können das nicht alleine entscheiden“, sagt Jürgen Knodel, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Tragwerk.

Das Angebot ist aber kein Frauenhaus, das Frauen Schutz und Unterschlupf bietet. „Das Thema Gewalt in der Beziehung kann zwar eine Rolle spielen“, sagt Angelika Haug. Generell sei das aber eher selten ein Thema, schon gar nicht das Hauptproblem. Die Adresse ist daher auch nicht geheim oder der Zugang nicht versperrt. Sandrinas Ex-Partner war sogar schon zu Besuch, um seinen Sohn zu sehen. „Er hat sogar beim Umzug geholfen“, erzählt die Mitarbeiterin.

Ein wichtiger Aspekt des Angebots ist, dass es nicht dauerhaft angelegt sind. „Wir sehen uns als Sprungbrett“, sagt Jürgen Knodel. Die jungen Mütter sollen wieder Ordnung in ihre Situation bringen und dann selbständig eine Wohnung beziehen. Auch dabei hilft Tragwerk. „Diese Wohnungen mieten wir als Stiftung an und vermieten sie dann an die Mütter“, sagt er. Als anerkannte und bekannte Stiftung genieße man natürlich ein großes Vertrauen gegenüber den Vermietern.

Die Betreuerinnen besuchen die Mütter in ihrer neuen Umgebung weiterhin, je nach Entwicklung und Bedarf wird der Betreuungslevel nach und nach reduziert. Den nächsten Level hat auch Sandrina bald erreicht: Ende Juni kommt ihr Sohn in den stiftungseigenen Kindergarten Top-Kids.