Integration
Wo aus Fremden Freunde werden: Zehn Jahre Begegnungscafé im Eckpunkt

Das Kirchheimer Begegnungscafé im Eckpunkt durfte seinen ersten runden Geburtstag feiern. Seit Oktober 2015 kommen dort jeden Freitag Deutsche und Geflüchtete zusammen, um in den Austausch zu treten. 

Pfarrer Jochen Maier betont, wie wichtig es ist, nicht nur übereinander, sondern auch miteinander zu sprechen. Foto: Fiona Peter

Das Café Eckpunkt ist bis auf den letzten Platz besetzt. Der Geruch von frischen Backwaren liegt in der Luft; an den Tischen wird munter geplaudert – zum Teil auf Deutsch, zum Teil auch nicht. Die rund 50 Menschen im Raum haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen und haben verschiedene Religionen. Doch sie alle sind an diesem Abend in den Räumlichkeiten bei der Diakonischen Bezirksstelle in Kirchheim zusammengekommen, um das zehnjährige Bestehen des Begegnungscafés im Eckpunkt zu feiern.

Die Leute haben mir sehr geholfen. Nicht nur dabei, Deutsch zu lernen, sondern auch dabei, die Kultur zu verstehen.

Salem Alfarag, Geflüchteter aus Syrien

Zum Auftakt des Fests gibt es eine kleine musikalische Darbietung: ein bekanntes türkisches Volkslied – „Üsküdar'a Gider İken“ – erzählt die Liebesgeschichte eines jungen Pärchens auf der Reise nach Üsküdar, eine historische Gegend in Instanbul. Das Publikum klatscht im Takt mit; die Stimmung ist gut.

Anschließend meldet sich Pfarrer Jochen Maier zu Wort. Gemeinsam mit einigen anderen engagierten Bürgerinnen und Bürgern hat er das Begegnungscafé vor nun einem Jahrzehnt ins Leben gerufen.

Unterstützung und Gemeinschaft

In seiner Ansprache erinnert der Pfarrer der Martinskirche an die Flüchtlingswelle um das Jahr 2015, die viele Menschen aus anderen Kulturen nach Kirchheim brachte. Damals stellte man sich vor Ort die Frage, wie man den Ankömmlingen bei der Orientierung in Kirchheim sowie dem Erlernen der deutschen Sprache helfen könnte. Nach ersten Bemühungen, wie einer Stadtführung für die neuen Einwohner, begann die Suche nach einem festen Ort für gemeinsame Treffen. Die Wahl fiel auf das Café Eckpunkt.

So kam es, dass dort seit Oktober 2015 jeden Freitagabend von 17 bis 19 Uhr zum Begegnungscafé mit Deutschen und Geflüchteten aus aller Herren Länder eingeladen wird. Mit der Zeit nehmen es einige der nicht-deutschen Besucherinnen und Besucher aber nicht so genau. Auch im Zuge des Fests trudeln immer wieder Spätankömmlinge ein. „In manchen ihrer Kulturen ist es unhöflich, pünktlich zu kommen“, erklärt Gisela Glasebach, die beim Kreisdiakonieverband Esslingen für die Flüchtlingsarbeit und das Begegnungscafé zuständig ist. Deshalb plane man in der Regel etwas Puffer ein.

Sprachbarrieren überwinden

Innerhalb der zehn Jahre, die seit dem ersten gemeinsamen Treffen vergangenen sind, ist nicht alles gleichgeblieben. Ehrenamtliche Mitarbeitende kamen und gingen, und auch die Herkunft der Besucherinnen und Besucher mit ausländischer Abstammung hat sich über die Jahre verändert. „Früher waren viele Menschen aus Afrika hier“, erzählt Dorothee Fries, die von Tag Eins an mit dabei war. Sie erinnert sich daran, dass viele der afrikanischen Gäste das römische Alphabet nicht verstanden oder überhaupt nicht lesen konnten. „Das war ganz schwierig“, bedauert die pensionierte Lehrerin. Trotzdem habe man Wege gefunden, den Menschen beim Deutschlernen unter die Arme zu greifen.

Wir haben gemerkt: Wir teilen ganz viele Dinge.

Jochen Maier, Pfarrer der Martinskirche

Heute zählen vor allem Geflüchtete aus dem Nahen Osten – Ländern wie Afghanistan, Syrien oder dem Irak – zu den Stammgästen im Eckpunkt. „Das sind sehr fleißige und zielstrebige Menschen“, berichtet Dorothee Fries. Leider seien die Umstände in den Flüchtlingsheimen oft suboptimal, um konzentriert Deutsch zu lernen. Dafür gebe ihnen das Café einen Raum.

Dass dieses Zusammenkommen für Geflüchtete eine echte Bereicherung sein kann, unterstreicht auch Salem Alfarag. Der mittlerweile 48-Jährige kam 2015 mit der ersten Flüchtlingswelle aus Syrien nach Deutschland. „Damals konnte ich kein Wort Deutsch“, erinnert er sich. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Sprache zu lernen, trafen er und ein Freund auf Pfarrer Jochen Maier, der die beiden Männer auf das Begegnungscafé aufmerksam machte. „Die Leute haben mir sehr geholfen“, so Alfarag. „Nicht nur dabei, Deutsch zu lernen, sondern auch dabei, die Kultur zu verstehen.“ Über die Zeit seien so echte Freundschaften entstanden.

Es ist schön, dass wir hier zusammenkommen.

Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle in Kirchheim

In der Zwischenzeit hat Salem Alfarag eine kaufmännische Ausbildung absolviert und ist beim Regierungspräsidium in Stuttgart angestellt. Seine Deutschkenntnisse nutzt er auch, um anderen arabischsprachigen Menschen im Eckpunkt beim Übersetzen zu helfen. In Deutschland fühlt sich Salem Alfarag mittlerweile zuhause. Das Café hat seinen Beitrag dazu geleistet. „Die Menschen hier haben ein offenes und sehr schönes Herz“, fasst er zusammen.

Miteinander verschieden sein

Neben dem traditionellen Begegnungscafé stehen übrigens auch andere gemeinsame Veranstaltungen auf dem Programm: Wie Jochen Maier erzählt, wird im Sommer zum Beispiel gemeinsam gegrillt, und auch zu Weihnachten gibt es ein Fest. Das untermalt der Pfarrer mit einer Diashow, die Einblicke in die Geschichte des Cafés eröffnet. Obwohl man so unterschiedlich sei, habe sich immer wieder gezeigt: „Wir teilen ganz viele Dinge.“ Orte wie das Begegnungscafé seien wichtig, „damit wir uns sehen, uns wahrnehmen und das Leben teilen“.

Auch Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle, betont den Stellenwert eines solchen Ortes – insbesondere in Zeiten, in denen „manche sagen, es gibt zu viele Menschen in Deutschland, die nicht deutsch aussehen“. Dabei, so Eberst, gehe es doch um Gastfreundschaft, um offenen Austausch und darum, sich Dinge, die der jeweils andere nicht habe, mit auf den Weg zu geben. „Es ist schön, dass wir hier zusammenkommen.“