Kirchheim
Wo Hitze Stress bedeutet

Klimawandel Die Zahl der Hitzetage steigt. Wie gehen Menschen damit um, die besonders gefährdet sind oder die der Hitze nicht entfliehen können? Der Teckbote hat nachgefragt. Von Antje Dörr

Wenn das Thermometer über 30 Grad steigt, wird der Job, den Petra Nastasi und ihre Kolleginnen machen, noch herausfordernder, als er ohnehin schon ist. Nastasi leitet das Seniorenzentrum Fickerstift. Sie ist verantwortlich dafür, dass die 60 pflegebedürftigen Menschen, die in der Kirchheimer Einrichtung leben, gut durch die heißen Tage kommen. Dehydration ist bei Älteren, denen häufig das Durstgefühl fehlt oder die schlicht nicht so oft auf Toilette gehen wollen, immer eine Gefahr. Bei Hitze wird die Gefahr noch größer. Deshalb tun Petra Nastasi und ihr Team in diesen Tagen noch mehr als sonst dafür, dass die Bewohner trinken. „Wir versuchen, mit Tees, Säften oder Sirup geschmacklich etwas Besonderes anzubieten. Auch Obst, das viel Wasser enthält, oder Wassereis stehen aktuell auf dem Speiseplan“, sagt sie. 

Fünf bis sieben Liter trinken

Die drei Männer, die auf der Baustelle der Firma Waggershauser in Owen im metallenen Verbau sitzen, muss niemand zum Trinken animieren. „Fünf bis sieben Liter am Tag sind kein Problem, ohne pinkeln“, sagt Kapo Christoph Schmied, der dafür sorgt, dass bei der Sanierung  „Neue Straße“ in Owen alles rund läuft. Der Verbau, der die Männer bei Kanalarbeiten vor Erdmassen schützen soll, wirkt bei 30 Grad Außentemperatur wie ein Backofen. „Und bloß nicht die Wände berühren, sonst hat man sofort Verbrennungen“, sagt er. Am Montag hat die Firma asphaltiert, Außentemperatur: 30 Grad. „Der Asphalt kommt mit 150 Grad auf die Straße. Bei Hitze ist das nochmal brutaler“, sagt Bauleiter Raymond Schnürch.

Hitze, meint Geschäftsführer Mathias Waggershauser, sei auf Baustellen schon immer ein Thema gewesen. Das Unternehmen versorgt seine Leute im Sommer mit Sonnenbrillen, Kappen und T-Shirts, bietet kostenlose alkoholfreie Getränke an. Auch die Möglichkeit, bereits um 6 Uhr morgens zu beginnen, gibt es theoretisch, wenn Bauleiter, Poliere und Mitarbeiter sich dafür entscheiden. Praktisch funktioniert das häufig nicht. „Das können wir wegen der Anwohner nicht machen“, sagt Kapo Schmied, der die Owener nicht in aller Frühe aus dem Schlaf reißen möchte.

Wer den Männern beim Schwitzen zusieht, beginnt zu verstehen, dass die steigende Zahl der Hitzewellen das Fachkräfteproblem, das die gesamte Baubranche hat, nicht gerade kleiner machen wird. Das weiß auch Christoph Schmied. „So viel und hart arbeiten, das will kaum einer mehr“, sagt er. Er deutet auf einen jungen Mann, der als Ferienjobber auf der Owener Baustelle arbeitet und als Azubi anfangen will. „Wir müssen um jeden einzelnen froh sein“, sagt er.

Im Seniorenzentrum Fickerstift haben es Mitarbeiter und Bewohner bisher gut durch die heißen Tage geschafft. „Wir sind natürlich aufmerksamer als sonst. Aber dadurch, dass  wir die Besucher recht gut kennen, kommen wir gut hin“, sagt Petra Nastasi. Wenn jemand schlapper sei als sonst, schaue man genauer hin und versuche, die Trinkmenge  zu erhöhen. „Kreislaufzusammenbrüche haben wir nicht mehr im Winter“, sagt sie.

Alleinstehende Ältere gefährdet

Recherchen von Zeit Online legen nahe, dass es nicht so sehr die älteren Menschen in Pflegeheimen sind, um die man sich in Hitzewellen Sorgen machen muss. Gefährdet seien hauptsächlich alleinstehende Ältere und vorerkrankte Menschen. Das Onlinemedium hat kürzlich aufgedeckt, dass die allerwenigsten deutschen Kommunen über ein Konzept verfügen, wie besonders gefährdete Menschen vor den potenziell tödlichen Folgen steigender Temperaturen geschützt werden können. Auch in Kirchheim und Weilheim, bei denen der Teckbote exemplarisch nachgefragt hat, gibt es bisher keine solchen Pläne. Vorbild könnte Frankreich sein, das nach einer verheerenden Hitzewelle vor rund 20 Jahren Schutzkonzepte für Städte und Gemeinden zur Pflicht gemacht hat. Während solchen Phasen werden gefährdete Menschen seitdem engmaschig überwacht. 2003 hatten in Frankreich mindestens 20 000 Menschen hitzebedingt ihr Leben verloren.

Ein Präventionssystem wie im Nachbarland hält Dr. Wolf-Peter Miehe, Weilheimer Hausarzt und Sprecher der Kreisärzteschaft, durchaus für überlegenswert. Auch wenn er glaubt, dass das Problem im ländlichen Raum kleiner ist als in Großstädten, findet er es wichtig, darüber zu diskutieren, wie man verhindern kann, dass Menschen von Hitze geschädigt werden. Aktuell bekomme seine Praxis deutlich mehr Hausbesuchsanfragen als sonst, meist von Älteren, die Entwässerungstabletten nehmen und deshalb bei der Hitze austrocknen. „Wir versorgen die Leute mit Infusionen. Es wäre aber schön, wenn es Stukturen gäbe, die das verhindern, und wir nicht hinterher Infusionen dranhängen müssten“, sagt Miehe.

Mehr Rettungseinsätze wegen Hitze

Rettungseinsätze Im Landkreis Esslingen hat sich die Zahl der Rettungseinsätze unter dem Stichwort „Hitzschlag/Sonnenstich“ im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Halbjahr 2021 verdoppelt, von acht auf 16. Das geht aus Zahlen der DKR-Leitstelle hervor, bei der die Notrufe im Landkreis Esslingen zentral eingehen. Die beiden Jahre lassen sich jedoch nur bedingt vergleichen, weil der Sommer 2021 deutlich kälter und das Frühjahr durch den Lockdown geprägt war.
Prävention Dass das Thema Hitzeschutz in den Medien großen Raum einnimmt, trägt Früchte und schlägt sich in relativ niedrigen Einsatzzahlen nieder, sagt Michael Wucherer vom DRK. Im Gegensatz zum Vorjahr habe es auch noch keinen Rettungseinsatz wegen zurückgelassener Kinder im Auto gegeben. Davor werde in den Sozialen Medien immer wieder gewarnt. adö