Überproduktion verschärft Existenzängste bei Milchbauern in der Region – Literpreis bei 25 Cent
Wo Milch und Honig fließen

Auch in und um Kirchheim bekommen Milchbauern von den Molkereien nur noch 25 Cent pro Liter Milch. Etwa 40 Cent sind nötig, um nachhaltig zu erzeugen.

Kirchheim. Es gibt zu viel Milch im Land. Bis zu fünf Prozent Überschuss erzeugen die Milchbauern in Deutschland. Im Landkreis Esslingen dominieren, im Gegensatz zu einigen Gegenden in Niedersachsen, Kleinbetriebe. Die Konsequenzen der Überproduktion bekommen vor allem sie zu spüren. Auch in Kirchheim und Umgebung ist der Milchpreis in den vergangenen zwei Jahren rapide gesunken. Im Moment zahlen die süddeutschen Molkereien noch etwa 25 Cent pro Liter – zum Leben reicht das nicht.

Noch vor zwei Jahren haben die Bauern mehr als 40 Cent pro Liter Milch bekommen. Dann erlebte die Branche einen Sturzflug – die Abschaffung der Milchquote tat ihr Übriges dazu. Siegfried Rau, Landwirt aus Notzingen, bekommt die Folgen jeden Tag zu spüren. In seinem Stall stehen acht Milchkühe. Die Landwirtschaft ist für den Forstwirt nur ein Nebenerwerb – zum Glück. Denn von „Erwerb“ kann er kaum mehr sprechen. „Mir fehlen im Monat fast 400 Euro“, sagt er. Seinen Stundenlohn traut er sich nicht auszurechnen. Hinge sein Herz nicht an seinen Milchkühen, hätte er seinen Betrieb vermutlich längst aufgegeben. Seine Frau kann über seine Leidenschaft nur den Kopf schütteln. „Zum Glück haben wir keine Schulden gemacht“, sagt er.

Als die Zeichen für die Milchwirtschaft vor zwei Jahren noch gut standen, haben viele Milchbauern expandiert. Großbetriebe gelten als wirtschaftlicher, kleine Betriebe eher als existenzbedroht. Für Modernisierungen zugunsten des Tierschutzes und besserer Technik bekommen die Bauern Zuschüsse von Bund und Land. Viele mussten dafür einen Schuldenberg aufnehmen. „Süßes Gift“, nennt der Vorsitzende des Kreisbauernverbands, Siegfried Nägele, die Förderungen. Manche Betriebe übernehmen sich, ihnen geht es jetzt an die Substanz.

Der wankende Milchmarkt hatte schon öfter Tiefphasen, nach denen die Preise sich langsam wieder in die Höhe geschraubt hatten. Schlechte Phasen können die meisten Landwirte verkraften, das gehört dazu. Die Angst gilt dem Dauerzustand. „Die jetzige Situation wird keiner lange aushalten“, sagt Siegfried Nägele, der einen Hof in Bissingen betreibt. Sollten die Rekordtiefpreise in Norddeutschland noch weiter in den Keller gehen, bekommen das auch die süddeutschen Landwirte zu spüren.

Wie es so weit kommen konnte, wagt er nicht zu sagen. Die Schuldfrage ist schwierig: Die Bauern produzieren Milch im Wettlauf, die Discounter drücken die Preise, die Verbraucher kaufen lieber billig als teuer. Laut Nägele ist die Menge Milch, die im Moment zu viel auf dem Markt ist, eigentlich gar nicht viel. Doch in dieser wackligen Konstellation bringt sie das Fass ganz wörtlich zum Überlaufen.

Die Parole jetzt lautet: weniger produzieren. Für die kleinen Landwirtschaftsbetriebe im Kreis ist das kaum realistisch. Gerade sie müssen um jeden Euro kämpfen. Noch weniger verkaufen, mit dem Risiko, dass die Konkurrenz daraus Gewinn schlägt, ist keine gern gesehene Option. „Wer es sich leisten kann, fährt sicherlich gut damit, weniger zu erzeugen“, rät Nägele. Aber wer kann das schon, gerade jetzt? Wenn der Markt nicht hier seine Ware findet, findet er sie woanders – und zwar günstiger. An staatliche Regulierung glaubt Nägele nicht – das sei noch nie gut gegangen. Den Kopf hält er trotzdem hoch: „Es wird wieder besser. Es muss besser werden“, sagt er mit einer stoischen Gelassenheit, wie sie nur die Erfahrung mit sich bringen kann. Die Milchbranche ist ein ständiges Auf und Ab.

Wo alle Gesetze versagen, muss der Bauer wieder selbst kreativ werden. Siegfried Rau aus Notzingen verkauft jetzt so viel Milch wie möglich bei sich auf dem Hof. So bekommt er ein Vielfaches an Lohn: 60 Cent pro Liter. Die Notzinger nehmen das Angebot an. Viel mehr als im Supermarkt kostet die frische Milch nicht und das Geld landet zu 100 Prozent beim Erzeuger.