Kirchheim
Wo Molche und Distelfinken Hallo sagen

Naturgarten Auch auf kleinen Flächen kann viel Natur gedeihen. Familie Senn macht es mit ihrem Hausgarten in Ötlingen vor. Sie hat sich ein kleines Paradies geschaffen. Von Karin Ait Atmane

Daniela und Matthias Senn vor dem Blühstreifen an ihrem Haus. Foto: Karin Ait Atmane

Familie Senn in Ötlingen wohnt da, wo’s am meis­ten blüht und summt. In nur zwei Jahren hat sie ihren Hausgarten in einen üppig blühenden Naturgarten verwandelt – eine Oase für Insekten, Vögel und andere Tiere. Und für die beiden Töchter Paula und Luisa, die sich über jeden „Mitbewohner“ freuen.

Senns Garten ist bekannt, und das nicht nur, weil ein Transparent am Zaun davon kündet, dass die Familie dieses Jahr beim Naturgartenwettbewerb „Deutschland summt“ mitmacht. Die blühende Pracht fällt auf und sorgt für zahlreiche Gespräche im Vorbeigehen und viel Anerkennung von Passanten und Nachbarn. Manche entdeckten hier Blumen aus ihrer Kindheit wieder, erzählt Daniela Senn. Im Blühstreifen zwischen Haus und Gehweg wächst unter anderem Natternkopf, die Lieblingsspeise zahlreicher Schmetterlinge und anderer Insekten, ebenso wie Margeriten, Kartäusernelken oder Nickendes Leinkraut.

Blühstreifen zwischen Haus und Straße. Foto: Karin Ait Atmane

Früher war diese Vorgartenfläche auf der Ostseite des Hauses ein Rasen mit Kirschlorbeersträuchern. Daniela und Matthias Senn haben sie zu Beginn ihres Gartenprojekts ausbaggern und eine 30 Zentimeter dicke Lage Schotter auffüllen lassen. Ob das ein Parkplatz werden solle, wurden sie damals gefragt. Tatsächlich ist aber der Schotter der Untergrund für die Magerwiese. „Da sind alle Leute komplett verwundert, dass das auf dem schlechten Boden wächst“, sagt Daniela Senn. „Eigentlich ist das Magere der Trick an der ganzen Sache.“

Das Bild des Blühstreifens ändert sich nicht nur mit der Jahreszeit, sondern je nach Jahr und Witterung. Der Mohn zum Beispiel, vor zwei Jahren in der ausgesäten Blühmischung enthalten, fehlte im vergangenen Jahr und ist nun wieder aufgetaucht. Manche Pflanzen kommen von allein, wie der Farn, der sich am Fußweg auf der schattigen Seite des Hauses angesiedelt hat. Hinter ihm zieht sich ein Streifen mit Schattenstauden wie Lerchensporn, Nacht­viole oder Baldrian entlang. „Das ist mit die schönste Ecke“, findet Daniela Senn. Welche Pflanzen sich am Ende behaupten, sei „immer ein bisschen Überraschung“, stellt ihr Mann fest. In einem Naturgarten wächst eben nicht alles schön arrangiert und nach Plan, dafür müsse man offen sein. Er und seine Frau unterstützen manche Pflanzen, dämmen andere etwas ein. Und vieles lassen sie einfach werden.

Kinder „kochen“ im Baumstumpf

Nicht alles, was Senns ausprobiert haben, hat geklappt. Aber es ist kaum zu glauben, wie sich die knapp 500 Quadratmeter Fläche in zwei Jahren entwickelt haben. Wo einst Waschbetonplatten lagen, findet man heute ein Gemüsebeet, Beerensträucher, den Komposthaufen und einen Totholzzaun. Die Holzterrasse am Haus ist kleiner als ihre steinerne Vor­gängerin, unter ihr ist eine Regenwasserzisterne vergraben. Deren Aushub trägt als kleiner, mit Stauden bewachsener Hügel dazu bei, den Garten in verschiedene Zonen zu unterteilen. So haben Paula (5 Jahre) und Luisa (3 Jahre) einen eigenen Spielbereich. Sie buddeln in der Sandgrube, kochen auf ihrem Herd aus Holzscheiben oder im Baumstumpf, den sie ausgehöhlt haben. Auf einem abgesägten Baumstamm können sie balancieren, daneben liegt die Matschecke mit Erde und Steinen. Die ist aller­dings gerade bewohnt, an den Löchern sieht man, dass Erdbienen eingezogen sind. Dabei gäb’s an anderer Stelle ein Sandarium, das die Familie extra für sie angelegt hat. Da müssen Senns wohl noch Überzeugungsarbeit leisten.

Die Mädchen freuen sich an allen Tieren, auch den Insekten. Kürzlich hätten sie tagelang Hunderte von frisch geschlüpften Mini-Spinnen beobachtet, erzählt Daniela Senn. Paula liebt Schmetterlinge besonders, Luisa Schnecken und Feuerwanzen. Anders als den Blühsaum am Gehweg, der nur ein bis zwei Mal im Jahr mit der Sense gemäht wird, halten Senns aber den Rasen in der Spielecke kurz, damit die Kinder ihn nutzen können. Der Garten soll für alle da sein, nicht dogmatisch den Regeln eines Naturgartens folgen.

Paula (links) und Luisa verbringen viel Zeit im Garten. Foto: Karin Ait Atmane

„Ich glaube, in Privatgärten liegt ein enormes Potenzial“, sagt Daniela Senn. „Wenn jeder nur eine kleine Ecke so hätte …“ Dafür will die Familie auch mit ihrer Teilnahme am bundesweiten Naturgartenwettbewerb „Deutschland summt“ werben. Sie musste dafür die Verwandlung ihres Gartens ausführlich dokumentieren – eine Menge Arbeit, aber gleichzeitig Motivation, diesen Weg weiterzugehen. Darüber dürften sich auch die tierischen Gartenbewohner freuen. Im Herbst fallen die bunten Distelfinken über die wilden Karden her. Neben den Insekten und Vögeln kommen oft Igel vorbei. Molche und Blindschleichen fühlen sich in den Stein- und Totholzhaufen wohl. „Die waren nicht schon immer da“, sagt Daniela Senn.

 

Expertin und Buch

Tipps für die Gartenverwandlung bekam Familie Senn bei einem Rundgang mit einer Vertreterin des Nabu. Außerdem half ihr das Buch „Natur für jeden Garten“ von Reinhard Witt. Die Dokumentation der Umgestaltung, mit Vorher-Nachher-Fotos, Pflanzlisten und Hinweisen auf Samenmischungen findet man auf wettbewerb.wir-tun-was-fuer-bienen.de/eintrag/2024-ein-naturtierspielgarten-fuer-die-ganze-familie/