Kirchheim. In die frühen 50er- und in die frühen 70er-Jahre blickten zwei ehemalige Absolventinnen beim Festakt des Kirchheimer Seminars zurück, die später als Bereichsleiterin und Lehrbeauftragte an ihre alte Ausbildungsstätte zurückkehrten. Sie plauderten aus dem Nähkästchen und nahmen ihr Publikum mit auf spannende Zeitreisen – in eine Welt, in der am Seminar vor allem „HHT“ unterrichtet wurde, „Handarbeit, Hauswirtschaft und Turnen“.
Irmgard Single kam 1951 zur Ausbildung nach Kirchheim, aber nicht sehr lange: Drei Tage dauerte die Aufnahmeprüfung. Während dieser Zeit übernachtete sie in der Jugendherberge. Dann ging es zum ersten Ausbildungsabschnitt ins Internat in Großsachsenheim. „Wir waren ständig am Stricken und Häkeln“, erinnert sie sich und hebt damit die Bedeutung der Handarbeit hervor: „Das Turnen war bei uns allen nicht überragend.“ Trotzdem war die sportliche Ausbildung herausfordernd: „Unseren Fahrtenschwimmer haben wir in der Enz gemacht. Wir mussten eine Dreiviertelstunde schwimmen, weil es dort kein Drei-Meter-Brett gab.“
Während ihrer Ausbildung hat Irmgard Single bereits die 30-Jahr-Feier des Seminars in Kirchheim erlebt. Damals unterrichtete auch Werner Gneist als Musiklehrer am Seminar. Von ihm stammt der Geburtstagskanon „Viel Glück und viel Segen“. Die entsprechende Anregung Irmgard Singles wurde aber während des Festakts nicht umgesetzt: „Das könnten wir jetzt auch fürs Seminar singen.“
Edith Burgert wurde nach den Veränderungen gefragt, die sich 1970 durch die erstmalige Aufnahme von Männern als Fachlehreranwärter ergeben hatten. „Dazu kann ich nichts sagen, weil ich ja selbst erst 1970 dazugekommen bin. Ich kenne das ,Vorher’ also gar nicht.“ Auch sie hat damals während der Aufnahmeprüfung in der Jugendherberge übernachtet. Auch sie musste zumindest im ersten Jahr im Internat wohnen, allerdings nur noch zu dritt im Zimmer, nicht mehr zu viert.
Die Geschlechtertrennung wurde damals konsequent umgesetzt: „Die Jungs waren in zwei Flügeln des Schlosses untergebracht.“ Sie hatten auch ihren eigenen Unterricht: „Es gab zwei Männerkurse für Werken und Sport.“ Gab es trotzdem Begegnungen? „Wir haben uns in den Gängen getroffen, auf dem Sportplatz, in der Turnhalle – und im Hallenbad.“ Letzteres ist ebenfalls wichtig für die Zeitzeugin: „Damals gab es noch ein Hallenbad in Kirchheim“, wandte sie sich direkt an Oberbürgermeister Pascal Bader.
Eiserne Disziplin im Internat
Im Internat herrschte Strenge: „Wir mussten um 22 Uhr auf dem Zimmer sein, und Jungs durften sich auf gar keinen Fall dorthin verirren.“ Wer den Ausgang eigenmächtig verlängerte, musste mit harten Konsequenzen rechnen: „Ich habe das Zimmer einmal durchs Fenster verlassen, aber leider nicht unbemerkt. Dafür gab es Wochenendarrest und Pfortendienst.“ Weil man vielleicht nicht ganz so viele Seminaristinnen an der Pforte brauchte, wurden die Fenster später vergittert.
Ein weiteres Geschichts-Kapitel schlug Edith Burgert auf, als sie die Kirchheimer „Stammkneipen“ erwähnte, in denen sich damals Seminaristen beiderlei Geschlechts getroffen haben: „Da gab es das alte Fass in der Max-Eyth-Straße. Wir waren auch oft in der Glocke, wo einige von uns gewohnt haben.“ Nicht zu vergessen die Sonne. Edith Burgert erinnert sich ans gemeinsame Singen in den Lokalen. Lieder von Hannes Wader und Reinhard Mey standen damals besonders hoch im Kurs.
Anlässe, um sich richtig nahe zu kommen, gab es aber doch. Dazu wurden auch junge Männer von außerhalb eingeladen, damit der Proporz stimmte: die legendären Seminarbälle. Andreas Volz