Kirchheim
Wohnung gesucht: Kirchheim ist für viele nicht bezahlbar

Wohnen Wer kein Top-Verdiener ist und eine neue Mietwohnung sucht, tut sich in Kirchheim immer schwerer. Zwei Betroffene erzählen, wie hart es ist, etwas Bezahlbares zu finden. Von Antje Dörr

Das Umland wird noch teurer“. So lautet die Überschrift eines Artikels, der kürzlich auf Zeit-Online erschienen ist. Dazu eine Karte, die die Brisanz auf einen Blick erkennen lässt: Stuttgart und sein Umland sind tiefrot eingefärbt. Hochpreisregion. Eine Umfrage, die das Medienunternehmen beim Immobiliendienstleister Value AG in Auftrag gegeben hat, zeigt, wie stark die Preise bei Neuvermietungen in Kirchheim in den letzten Jahren gestiegen sind: von 7,74 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2012 auf 11,19 Euro im Jahr 2021. Eine 80 Quadratmeter Wohnung, die im Jahr 2012 619 Euro kalt kostete, würde also im Jahr 2021 mit 895 Euro zu Buche schlagen. In der Realität scheint selbst das nicht auszureichen: Im Quartier Wollspinnerei kostet beispielsweise eine 82 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock 980 Euro kalt. Warmmiete: 1310 Euro.

 

Wenn man sich mit dem, was wir verdienen, keine Wohnung leisten kann, dann stimmt doch was nicht.
Anja Lowin, Kirchheimerin

 

Wie unbezahlbar Kirchheim für Menschen geworden ist, die keine Topverdiener sind, muss ihr niemand erzählen: Anja Lowin, 33 Jahre alt. Die Kirchheimerin lebt mit Mann und Tochter in einer 65 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Alten Friedhofs. Als Lowin vor etwa anderthalb Jahren schwanger wurde, begannen sie und ihr Mann mit der Suche nach einer größeren Bleibe. Mittlerweile ist die Tochter sieben Monate alt, und Lowin sucht immer noch. „Zwei Wohnungen haben wir besichtigt, aber das Preis-Leistungs-Verhältnis hat einfach nicht gestimmt“, sagt sie. An den Eckdaten lässt sich nicht rütteln: Drei Zimmer müssen es sein, und maximal 900 Euro dürfen sie kosten. Warm.    

Anja Lowin und ihr Mann sind ein gutes Beispiel für Menschen, die sich Wohnen in Kirchheim nicht mehr leisten können, obwohl sie nicht arm sind. „Wir sind zwei Menschen, die immer gearbeitet haben“, sagt sie. Lowin ist Jugend- und Heimerzieherin, befindet sich aber seit der Geburt der gemeinsamen Tochter in Elternzeit. Dass ihr Mann seit zwei Jahren in Kurzarbeit ist, schmälert das Einkommen noch weiter. Mittlerweile hat Lowin sogar einen Minijob angenommen – ein Schritt, den sie eigentlich niemals gehen wollte, solange die Tochter so klein sei, sagt sie. Die Familie ist seit kurzem im Besitz eines Wohnberechtigungsscheins, damit hätte sie theoretisch Anspruch auf eine Sozialwohnung. Praktisch ist aber auch dieser Weg eine Sackgasse. „Wir haben schon alles abtelefoniert, finden aber nichts, was in unser Profil passt“, sagt sie. Im Henriettengarten hätte es beinahe geklappt. Leider war die Wohnung größer, als die maximal 80 Quadratmeter, die der Wohnberechtigungsschein erlaubt – und damit wieder unbezahlbar.

Für Lowin und ihren Mann geht es bei der Wohnungssuche um nichts weniger als Heimat. Auf die Alb zu ziehen, weil sie sich die Miete in der Stadt nicht mehr leisten können, und damit weg von Freunden und Familie, können und wollen sie sich nicht vorstellen. Schon eher komme das Umland von Kirchheim in Frage. Doch auch dort seien die Mieten für sie unbezahlbar.

 

Selbst Wohnklos mit Kochnische sind mittlerweile teurer.
Dietmar H.

 

Das kann Dietmar H. (Name geändert) aus Dettingen bestätigen. Der 60-Jährige lebt aktuell in einer 52 Quadratmeter großen Wohnung, für die er 550 Euro Warmmiete bezahlt. Seit er die Kündigung erhalten hat, sucht er in einem Radius von 20 Kilometern um Kirchheim herum nach einer neuen Bleibe. Kosten sollte sie nicht mehr als das, was H. bisher bezahlt. „Momentan könnte ich noch eine teurere Wohnung schultern“, sagt der Werbefachmann, „aber wenn ich in Rente gehe, nicht mehr“. Dann werde er mit 1100 Euro monatlich zurecht kommen müssen. Dass seine bisherige Wohnung ein ziemliches Schnäppchen ist, wird ihm nach einigen Monaten der Suche allmählich klar. „Selbst Wohnklos mit Kochnische sind mittlerweile teurer“, sagt H.. „Ich suche etwas, was es offenbar nicht gibt.“

In günstigere Gegenden, beispielsweise auf die Alb, zu ziehen, kommt auch für Dietmar H. nicht in Frage. „Wenn ich ausrechne, was ich da an Benzin rauspulvern muss, um zur Arbeit zu kommen, dann ist das auch nicht günstiger“, sagt er. Außerdem möchte er im Alter nicht völlig ab vom Schuss wohnen, sondern lieber in der Nähe von Fachärzten, Kultur und Freunden. Dass H. nicht mehr der Jüngste ist, macht die Suche nicht einfacher. „Eine Wohnung im dritten oder vierten Stock ohne Aufzug kommt eigentlich nicht in Frage“, sagt er. In anderen Bereichen hat Dietmar H. jedoch keine großen Ansprüche. „Ob die Wohnung ein tolles Bad oder einen besonderen Bodenbelag hat, ist mir völlig egal“, sagt er. „Was nützen mir goldene Wasserhähne, wenn ich nicht genügend Geld für Essen habe?“