Kirchheim
Worum geht es auf dem Markt:  Schwätzen oder Socialising?

Stadtführung   Drei Landtagsabgeordnete betätigen sich als Stadtführer und nehmen 
dabei das Thema „Märkte in Kirchheim“ genauer unter die Lupe.  Von Andreas Volz

Kirchheim als Marktstadt stand im Mittelpunkt der sommerlichen Stadtführung – eines Programms, das die Kirchheimer Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz (Grüne) und Andreas Kenner (SPD) seit einigen Jahren gemeinsam anbieten.
 

Dr Andi muss halt nebaher
a bissle regiera.
Andreas Kenner
über die Telefonate seines Kollegen Schwarz während der Stadtführung

Dieses Mal erweiterten sie das Duo erstmals zum Trio: Auch Natalie Pfau-Weller (CDU) war mit von der Partie. Dadurch demonstrierten alle drei Abgeordneten des Wahlkreises Kirchheim, dass sie jenseits der Parteigrenzen gut miteinander harmonieren. Nicht zuletzt sind oder waren alle drei über viele Jahre hinweg Mitglieder des Kirchheimer Gemeinderats.

Vor Ort im Freihof ging es zunächst um den Wollmarkt. Von 1819 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war Kirchheim berühmt für diesen Markt, erst recht ab 1836. Damals erhielt Kirchheim eine besondere Aufwertung: Die Stadt am Fuß der Teck wurde zum bedeutendsten Handelsplatz für Wolle im gesamten Königreich Württemberg. Fortan fand im Freihof einmal im Jahr der Hauptlandeswollmarkt statt, der alle anderen Wollmärkte in allen anderen Städten des Königreichs in den Schatten stellte.

Kirchheim hat davon enorm profitiert, wie Natalie Pfau-Weller herausstellte: „Die Stadt war voller Leute, und die waren nicht nur in Gaststätten untergebracht. Auch Privatpersonen haben ihre Häuser vermietet – und sie selbst haben während des Wollmarkts auf dem Küchenboden geschlafen.“ Andreas Schwarz belegte die Bedeutung des Hauptlandeswollmarkts anhand von Zahlen: „Drei Viertel der gesamten Wolle, die in Württemberg gehandelt wurde, kamen in Kirchheim auf den Markt. Das hat die Stadt geprägt.“

Schließlich hat auch die Industrialisierung mit der Wolle Einzug gehalten. Einer der größten Arbeitgeber Kirchheims war lange Zeit das Textilunternehmen Kolb & Schüle. In dessen Umfeld hatten sich später viele weitere Betriebe angesiedelt, die die unterschiedlichsten Branchen vertraten. Heute stelle sich nicht nur in der Textilproduktion die Frage, „ob wir uns zu sehr von China abhängig machen“, merkte Andreas Schwarz an. Andreas Kenner wiederum stellte eine ganz andere Rechnung auf zum heimischen Textilgewerbe: „Mit Waschlappen könnte sich das jetzt wieder lohnen, in Baden-Württemberg zu produzieren. Wenn jeder von uns im Land nur zehn neue Waschlappen kauft, brauchen wir Stückzahlen von über 100 Millionen.“

Hohe Kaufkraft in Kirchheim

Der Wettbewerb zischen Kirchheim und benachbarten Städten geht auch nach dem Ende des Wollmarkts weiter. Andreas Schwarz zufolge spielt Kirchheim bei der Kaufkraft aber nicht mit Nürtingen oder Göppingen in einer Liga, sondern mit Esslingen und Stuttgart. Das soll auch so bleiben, geht es nach dem Wunsch der drei Kirchheimer Landtagsabgeordneten. Auch über das Thema „Märkte“ hinaus liegt es ihnen am Herzen, dass der Handel in der Stadt erhalten bleibt.

Was dagegen längst keine Rolle mehr spielt, sind die vielen verschiedenen Viehmärkte, die es einst in Kirchheim gab – ab Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts. Zuvor wurde Vieh in beachtlichen Mengen auf dem Ziegelwasen gehandelt. Im Februar 1869, führte Andreas Kenner aus, wurden in Kirchheim an einem einzigen Tag verkauft: 150 Pferde, 440 Ochsen, 650 Kühe, 560 Ziegen und Schafe sowie 600 Schweine.

Einmal im Monat gab es in Kirchheim je einen Rinder- und einen Pferdemarkt, einen Schweinemarkt gab es sogar jede Woche. Heute ist der Schweinemarkt eine Tiefgarage samt Laden- und Bürokomplex – wobei sich Andreas Schwarz vor Ort über die niedrigen Geschosshöhen in der Tiefgarage beschwerte: „Ein Schild sagt, dass Fahrzeuge nicht höher sein dürfen als zwei Meter. Das ist für mich mit meinen 2,01 Metern also nicht ganz so einfach.“

Parkplätze, Fußgängerzonen – alle diese Themen wurden noch nebenher abgehandelt, ebenso wie der Hinweis auf die heutigen Monatsmärkte, auf die beiden Jahrmärkte und auf die drei Wochenmärkte. Auf dem Marktplatz erzählte Andreas Kenner von einem wichtigen sprachlichen Unterschied zwischen den Generationen: „Ich sage immer, die Leute kommen zum Schwätzen auf den Markt. Kollege Schwarz sagt, sie kommen zum Socialising.“ Passenderweise ging die Stadtführung an dieser Stelle zu Ende, mit Ausklang im Pub am Markt. Dabei waren aber die Grenzen zwischen Schwätzen und Socialising in jeder Hinsicht fließend.