Mit zehn Tonnen Schotter haben Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll die 22 mal acht Meter große Bodenfläche des Ausstellungsraums im Kirchheimer Kornhaus aufschütten lassen. Die ungewohnte Akustik mit den knirschenden Trittgeräuschen der herumgehenden Besucher sowie ein undefinierbarer Geruch verändern die Raumerfahrung auf subtile Weise.
Mit dem zweiteiligen Projekt „Prima Materia“ feiert der Kunstbeirat zusammen mit den Besuchern sein 40-jähriges Bestehen. Gleichzeitig wird jedoch auch eine Phase der Ungewissheit eingeleitet, denn für die Grundsanierung des Gebäudes wird der Ausstellungsraum für mehrere Jahre geschlossen. Wenige Gehminuten vom Kornhaus entfernt hat das Künstlerduo „Dellbrügge & de Moll“ in Zusammenarbeit mit dem Kunstbeirat deshalb eine Ausgleichsfläche für die nächsten Jahre schaffen lassen. Im Bürgerpark Herrschaftsgärten, im Hain der Kulturen, wurde eine Fläche mit den identischen Maßen des Galerieraumes aus rotem Schotter in die grüne Wiese eingelassen. Darauf sollen in nächster Zukunft sowohl offene Veranstaltungen als auch Aktionen, die der Kunstbeirat initiiert hat, stattfinden.
Anlässlich des Jubiläums würdigte Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker die erfolgreiche Tätigkeit des Kunstbeirats. „In etwa 250 Ausstellungen wurden die Arbeiten von etwa 450 Künstlern gezeigt“, bilanzierte Matt-Heidecker. Das Kornhaus werde nun grundsaniert und ausgebaut. „Ich danke dem Beirat auch für seine intensive beratende Tätigkeit während des Wettbewerbs. Schließlich sind sie die zukünftigen Nutzer der Räume für Projekte und Ausstellungen.“
Gedanke der Nachhaltigkeit
Susanne Jakob, Kuratorin und Mitglied des Beirats, erinnerte an die erste Ausstellung im Kornhaus mit dem Titel „ARS LATINA“ von „Dellbrügge & de Moll“ aus dem Frühjahr 1990. Damals hatten die Künstler Tonscherben aus Terrakotta wie vermeintliche Ausgrabungsstücke antiker Gefäße ausgestellt und so unterschiedliche Epochen in Beziehung gesetzt. Beide waren Absolventen der Kunstakademie Karlsruhe und arbeiten seit 1984 zusammen. Seit einigen Jahren befasst sich das Duo „Dellbrügge & de Moll“ mit Materialkreisläufen, wie sie in der Industrie zur Anwendung kommen. Im heutigen Projekt könne man Zusammenhänge mit der Kunst der 1960er-Jahre entdecken, die unter dem Einfluss der Fotos unseres Planeten aus dem Weltraum ein erstes Bewusstsein von der Fragilität des Ökosystems Erde thematisierten, erklärte Susanne Jakob. „Der Gedanke der Nachhaltigkeit bezieht sich auf das verwendete Material. Der Titel entstammt der Alchemie. Dort sollten aus der Prima Materia, meist wertlosem Material wie Schlamm oder Erde, der Stein der Weisen oder Gold hergestellt werden“, so die Kuratorin.
Dellbrügge und de Moll gingen ähnlich vor, denn der graue Schotter im Innenraum wurde aus gereinigter Müllverbrennungsschlacke produziert, also aus einer menschengemachten Ressource geschöpft, deren Vorkommen nicht ab- sondern zunimmt.
Die rötliche Fläche im Bürgerpark besteht aus verdichtetem Schutt von Abrisshäusern. Beides sind Recyclingmaterialien, die überwiegend in der Baubranche ihre Verwendung finden. Sie wurden mithilfe der Firma „Scherer+Kohl“ für die Fläche im Kornhaus und des Kirchheimer Unternehmens „Feess“ für die Ausgleichsfläche im Bürgerpark beschafft und an die jeweilige Stelle eingebracht.
Für das Projekt wurden diese Materialien den üblichen Produktions- und Recyclingprozessen entnommen, und damit auf der Bedeutungsebene zur Kunst nobilitiert. Nach Ablauf der Ausstellungsdauer werden die Materialien wieder den Prozessen der Industrieproduktion zugeführt und erhalten damit ihre ökonomische und ökologische Bedeutung zurück.
Beim anschließenden Picknick auf der Ausgleichsfläche im Bürgerpark war das Publikum eingeladen, mit den Künstlern über Themen wie Nachhaltigkeit und die Konsequenzen für die künstlerische Praxis zu diskutieren.