Parteipolitisch tun sich zwischen beiden mitunter Gräben auf. Was den sprichwörtlich langen Atem in der Politik angeht, sind sie aus demselben Holz geschnitzt. Und wenn der eine kommt, um den Anderen beim Abschied zu begleiten, dann kann aus einem oftmals steifen Akt ein kurzweiliger Abend werden. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, inzwischen 76 Jahre alt und seit mehr als vier Jahrzehnten in der Landespolitik und CDU-Kreischef Heinz Eininger, mit 24 Amtsjahren dienstältester Landrat im Südwesten, verbindet neben ihrer Leidenschaft für den Fußball des VfB vor allem ein streitbarer Geist im Kampf um politische Überzeugungen.
Bei Einingers offiziellem Abschied am Freitag vor rund 400 geladenen Gästen in der Nürtinger Stadthalle fiel eines der Gastgeschenke, wenn man so will, aus dem Rahmen: Kretschmann kam direkt aus der Sitzung der Haushaltskommission auf die Bühne, um mitzuteilen, dass sich die Stuttgarter Koalition im Regierungsentwurf auf ein zusätzliches Investitionspaket von 150 Millionen Euro für die Kliniken im Land geeinigt hätte. Geld, das
Du bist das pulsierende Herz unseres Bündnisses.
Givatayims Oberbürgermeister Ran Kunik an die Adresse Einingers
auch im Kreis Esslingen gut ankommt, obwohl sich der Überlebenskampf hier aussichtsreicher als überall sonst im Land gestaltet. Dass die Medius-Kliniken nach einer umfassenden Strukturreform als einzige in Baden-Württemberg schwarze Zahlen schreiben, gilt als zentrales Vermächtnis des Landrats, der am 30. September sein Amt niederlegt. Der Landkreis als „Benchmark“ in der Kliniklandschaft im Südwesten – ein Satz, der nicht von Eininger stammt, sondern vom baden-württembergischen Sozialminister Manfred Lucha. Eininger wiederholt ihn dennoch gerne und oft, schließlich geht er nach eigenem Bekunden bis heute „runter wie Öl“.
Die Reihe hochrangiger Gäste war lang. Darunter auch Achim Brötel, der erst wenige Tage zuvor als erster Südwest-Vertreter seit mehr als sechs Jahrzehnten zum Präsidenten des Deutschen Landkreistages gewählt worden war. Sein baden-württembergischer Kollege Joachim Walter übernahm die Rolle des Gastredners, gemeinsam mit Kreissparkassen-Vorstandschef Burkard Wittmacher, Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht als Vertreter der 44 Städte und Gemeinden im Kreis und Bernhard Richter, der als stellvertretender Vorsitzender die Kollegen im Kreistag vertrat. Dass das vertraute „Du“ an vielen Stellen den Ton bestimmte, sollte zeigen, dass Eininger als einer zum Anfassen gilt: offen, direkt und „jenseits aller Hierarchien“, wie die Erste Landesbeamtin Marion Leuze-Mohr stellvertretend für die Belegschaft in der Kreisverwaltung anmerkte.

Kretschmann würdigte den Landrat als „leidenschaftlichen Kommunalen und überzeugten Demokraten“, der mit einer beeindruckenden Argumentationskraft gesegnet sei. „Als Verhandlungspartner zwar nicht immer angenehm“, so der Ministerpräsident, „aber damit doch ein ziemlich guter Landrat.“ Allen Nicht-Schwaben im Saal lieferte der Oberschwabe die Übersetzung für „ziemlich gut“ gleich mit: „Besser kann man es kaum machen“.
Weil „zuviel Weihrauch den Heiligen rußt“, fand Kretschmann dann doch noch Zeit für eine Spitze: Dass sich hier im Kreis bis heute kein einziges Windrad dreht, sei wohl als noble Geste Einingers in Richtung seines Nachfolgers zu verstehen. An Marcel Musolf gewandt, der am 1. Oktober Einingers Nachfolge antritt, sagte Kretschmann: „Das erste Windrad im Kreis Esslingen wartet auf Sie.“
Der emotionalste Moment des Abends blieb Ran Kunik vorbehalten. Der Oberbürgermeister der israelischen Kreis-Partnerstadt Givatayim war per Video aus der Gedenkstätte für israelische Kriegsopfer zugeschaltet. Kunik war eigentlich als Gastredner eingeplant, doch die Kriegslage in Nahost verwehrt hohen Verwaltungsbeamten in Israel derzeit die Ausreise. An seinen „Freund Heinz“ gerichtet, sagte er: „Du bist das pulsierende Herz unseres Bündnisses zwischen beiden Ländern, das auf Freundschaft, Wahrheit und tiefem Engagement gründet.“ Der Kreis Esslingen, so betonte Kunik, sei ohne Zweifel der größte Freund Givatayims außerhalb der Grenzen Israels. Er wurde an diesem Abend von Gila Shalev vertreten, die ebenso wie Spitzenvertreter aus dem polnischen Pruszkow und den beiden Partnerkreisen Leipzig und München unter den Gästen war. Die Lehrerin am Technikum der israelischen Stadt vor den Toren Tel Avivs ist Trägerin der Staufermedaille des Landes und langjährige Wegbegleiterin im Rahmen der Partnerschaft. Eine Band mit zehn Jugendlichen der Thelma Yellin Highschool in Givatayim gestaltete den Abend musikalisch gemeinsam mit dem Jugendblasorchester des Landkreises.
Studium contra Fußball
Als das Programm schon fast zu Ende war, versagte dem sonst so Wortgewaltigen dann doch noch die Stimme. Dem Abschied mit minutenlangem stehenden Applaus war eine sehr persönliche Bilanz Einingers vorausgegangen. Die Karriere als Landrat sei ihm nicht in die Wiege gelegt gewesen, als er in Großbettlingen als ältester von drei Brüdern zur Welt kam und als Einziger studieren durfte, blickte Eininger zurück. Seine Ehefrau und damalige Studienfreundin habe ihn immer wieder gedrängt, sich mehr dem Studium und weniger dem Fußball zu widmen. Ein Drängen, das sich für beide Seiten ausgezahlt hat: Andrea Klett-Eininger, die sich im November ebenfalls in den Ruhestand verabschieden wird, ist mit ihrem Mann beruflich auf Augenhöhe. Als erfolgreiche Juristin und frühere Ministerialrätin ist sie heute Stadtdirektorin der Landeshauptstadt Stuttgart.