Schon am Samstagmorgen um neun Uhr hatte sich der Koch, unterstützt von vielen Helfern, an die Arbeit gemacht: Für das abendliche Fastenessen auf dem Kirchheimer Marktplatz waren 1 500 Portionen gefragt. Es gab Mandelreis mit Gemüse, Salat, eine Suppe und Süßes. Dahinter steckte jede Menge Arbeit - schon alleine für das hygienische Abfüllen von 1 500 kleinen Bechern mit Salatdressing. Beim Wasser hatten sich die Gastgeber zur Müllreduzierung für die große Variante entschieden: Es stand in Dreiliterflaschen auf den Tischen. Der Einkauf für das Essen hatte schon eine Woche vorher begonnen. Der Salat wurde aber erst ganz frisch am Morgen besorgt.
Zum Fastenessen, Iftar genannt, hatten im Fastenmonat Ramadan vier muslimische Vereine gemeinsam eingeladen: Der kulturelle Bildungs- und Integrationsverein mit der Alten Moschee, die Sultan-Ahmet-Moschee, die bosnische Moschee und der Islamisch-Albanische Kulturverein. Vor dem Essen, pünktlich zum Sonnenuntergang um 21.15 Uhr, gab es ein vielseitiges Programm. Dessen Stars waren die Ilahi-Gruppe der Bosnischen Moschee und die Ilahi-Gruppe der Sultan-Ahmet-Moschee. Bei den mutigen Gesangsauftritten der Kinder war die Bühne von stolzen Eltern mit unzähligen filmenden Smartphones umlagert.
Wenn jemand kocht und der Nachbar nimmt den Geruch wahr, ist der Kochende verpflichtet, sein Essen mit ihm zu teilen: So beschrieb der Prophet Muhammad einstens die Nachbarschaft, das Thema des diesjährigen Fastenessens. Was ist noch wichtig? Unter anderem solle jeder sein Haus so bauen, dass die Sicht des Nachbarn nicht gehindert wird, und den Nachbarn trösten, wenn ihn ein Unglück trifft. Damit sich niemand herausreden kann, legte der Prophet auch noch fest, wie weit die Nachbarschaft reicht: Es ist das 40. Haus in jeder Himmelsrichtung.
„Mit dem Auge des Herzens“
Die Begrüßung gab es in vier Sprachen: Türkisch, bosnisch, albanisch und deutsch, mit identischem Inhalt. Die deutsche Version übernahm Murat Lök, Vorsitzender der Alten Moschee und Moderator. „In einer Gesellschaft, in der so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft leben, ist es wichtig, die Kultur und Religion seiner Mitmenschen zu kennen und diese auch gemeinsam zu erleben. Nur so können Vorurteile abgebaut, Distanz überwunden und Freundschaften geschlossen werden.“ Murat Lök wünscht sich, „dass wir im täglichen Umgang mit unseren Mitmenschen häufiger mit dem Auge des Herzens sehen“.
Für die Stadt und den Integrationsrat dankte Bürgermeister Stefan Wörner allen, die für das gemeinsame Essen gearbeitet hatten, und den Teilnehmern: „Sie alle setzen ein Zeichen für Offenheit, Toleranz und ein gutes nachbarschaftliches Zusammenleben in Kirchheim.“ Die Stadt sei in den letzten Jahrzehnten deutlich bunter und vielfältiger geworden, der Zuzug aus dem Ausland habe sie stetig weiter wachsen lassen. Stefan Wörner lobte die fünf etablierten Nachbarschaftsnetzwerke in der Stadt. Aus der Nachbarschaftsgruppe im Hafenkäs und deren Willkommenscafé entstand eine Frauengruppe aus Flüchtlingsfrauen und Nachbarinnen.
Auf die Rezitationen aus dem Koran folgte eine deutsche Übersetzung: Darin ging es unter anderem um die Ermahnung, für die Bedürftigen zu spenden. Auf den Muezzin-Ruf folgte das gemeinsame Essen. Nach dem Essen zogen über 100 Muslime zum Abendgebet auf dem Platz vor der Martinskirche, danach kehrten sie zum gemütlichen Beisammensein mit türkischem Tee auf den Marktplatz zurück.
Dann begannen Jugendliche aus den Moscheen mit dem Aufräumen und dem Abbau der vielen Biertische und -bänke. Ein Getränkehändler hatte sie bereitwillig verliehen - auch ohne Bezug von Bier oder Cola. So ganz aus dem Nichts und ohne Übung mussten Koch und Helfer übrigens nicht in Aktion treten: Während des Ramadan, in diesem Jahr von 16. Mai bis 14. Juni, gibt es in der Sultan-Ahmet-Moschee ein abendliches Fastenessen. Unter den rund 150 Teilnehmern sind sehr viele Flüchtlinge.
Und eine Kollekte? Eine solche gab es beim Fastenessen auf dem Marktplatz nicht. Wer wird schon Geld verlangen, wenn er gute Nachbarn einlädt?