Kirchheim. Der Literaturbeirat hat das Jahresmotto „Reisen“ ausgewählt. Gastgeberin Carola Abraham kündigte eine Reise besonderer Art an: Der Autor erzählt von der gewaltsamen Abschiebung eines Asylsuchenden aus Pakistan, der mit einer Deutschen verheiratet ist. Das ist empörend. Doch es ist ein Roman, also eine erfundene Geschichte. Wenn aber der Autor mitteilt, dass ebendies seiner Schwester im nahen Tübingen widerfahren ist und eine Welle der Empörung ausgelöst hat, so bekommt der Roman eine intensive faktische Brisanz und somit ein größeres Interesse.
Wenn aber der Autor im Vorwort nochmals klarstellt, dass es sich um ein literarisches Produkt, um Fiktion handelt, dass alle Figuren des Romans, auch die der Schwester, nicht deckungsgleich mit den realen Menschen sind, so hat es die Leserschaft wieder mit der Wahrheit eines literarischen Kunstwerks zu tun. Und dieses stellt Joachim Zelter in einer sonntäglichen Matinee im Max-Eyth-Haus vor.
An seiner kultischen Baseballkappe sofort erkennbar, liest er aus seinem hochaktuellen Roman „Die Verabschiebung“, der 2021 erschienen ist. Er wählt Passagen aus, die vom Schicksal der beiden Hauptfiguren Faizan und Julia handeln. Faizan stammt aus Pakistan. Er hat einen Asylantrag gestellt, ist aber chancenlos, da er kein Kriegsflüchtling ist. Julia stammt aus einer gutbürgerlichen deutschen Familie, hat ihr Deutsch- und Philosophiestudium abgebrochen und arbeitet als Hilfskraft in der Stadtbücherei.
Die beiden begegnen sich zufällig, verlieben sich und werden ein Paar. Versuche, Faizans Abschiebung zu verhindern, bleiben in der deutschen Bürokratie stecken. Sie heiraten auf anwaltlichen Rat, obwohl Julia nie eine Heirat wollte. Es folgen peinliche Wohnungsdurchsuchungen und Verhöre vom Ausländeramt der Stadt durch einen Herrn Zöllner, der eine Scheinheirat vermutet – schließlich ist Julia zehn Jahre älter als ihr Mann. Zum Entsetzen von Julia wird Faizan während ihrer Abwesenheit von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug gesetzt. Hier bricht Zelter die Lesung ab. Den weiteren Gang der Handlung lässt er offen.
Interessanterweise gilt die erste Frage aus dem Publikum dem realen Pakistani, dem Schwager des Autors. Der konnte auf Intervention eines SPD-Bundestagsabgeordneten nach einem Jahr wieder einreisen. Der fiktive Faizan hatte dieses Privileg nicht. Julia wird ihrerseits nach Pakistan reisen mit ungewisser Zukunft.
Kafkaeske Welt gezeichnet
Das literarische Kunstwerk zeichnet bewusst eine kafkaeske Welt, die gekennzeichnet ist durch äußere Zwänge. Deutschland kapselt sich in eine durch Gesetze zugemauerte Festung ein. Das bringt Menschen hervor wie diesen Herrn Zöllner, die empfindungslos, also unmenschlich dem Gesetz folgen. Gegenüber einem Asylsuchenden, der ein sensibler, integrationsfähiger, liebender Mensch ist, wirkt das besonders grausam. Also gehört alle Sympathie ihm und alle Verachtung dem Gastgeberland. Auch im Max-Eyth-Haus.
Doch der Autor regt selbst zum Nachdenken an. In der Lesung erklärt er, dass in der Figur Zöllner bewusst „alle Vorurteile“ versammelt seien. Und in einem Interview sagt er, er wolle nicht politisch agitieren, sondern nur zum Diskurs anregen. Selbst in einem Zöllner stecke ein Stück von ihm.
Präsent zeigt sich der Autor bei seinem professionellen Vortrag, sein Text immer wieder gespickt von Zitaten aus Dichtung und Philosophie. Doch sein Sprachstil ist bewusst parataktisch, von Hauptsätzen geprägt. Und noch lebendiger sind die Dialogpassagen des Romans. Hier wird spürbar, dass der hochdekorierte Autor auch Texte für Filme und Theater schreibt. Ulrich Staehle