Mit fassungslosem Staunen lese ich, wie die Südwest-CDU in ihrem Wahlprogramm Lehrkräfte pauschal unter „mangelnder Leistungsbereitschaft“ und „Pflichtverletzungen“ abheftet. Wer in einer Zeit massiver Personalengpässe und wachsender Herausforderungen im Bildungssystem mit dem Holzhammerbild des faulen Lehrers arbeitet, betreibt nicht Politik, sondern Stimmungsmache.
Lehrkräfte tragen unser Bildungssystem jeden Tag – oft weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Sie stemmen Verwaltungsvorschriften, kompensieren Unterrichtsausfall, auffällige Klassensituationen, fehlende Schulsozialarbeit, marode Gebäude und digitale Defizite. Viele arbeiten abends und am Wochenende, damit Kinder und Jugendliche trotz aller Rahmenbedingungen gute Chancen haben. Diese Realität auszublenden und stattdessen den moralischen Zeigefinger zu heben, ist nicht nur unredlich, sondern gefährlich.
Wer wirklich Verantwortung übernehmen will, stärkt Lehrerinnen und Lehrer, statt sie wie die CDU öffentlich zu diskreditieren. Er sorgt für bessere Arbeitsbedingungen, verlässliche Unterstützungssysteme, attraktive Fortbildungen und Schulen, die ihre Aufgaben erfüllen können. Druck und Sanktionen dagegen lösen kein einziges Problem – sie verschärfen höchstens den Fachkräftemangel, den die CDU selbst beklagt.
Ein Wahlprogramm, das „Zuverlässigkeit“ verspricht und gleichzeitig ganze Berufsgruppen unter Generalverdacht stellt, spricht mit gespaltener Zunge. Baden-Württemberg verdient eine Bildungspolitik, die respektiert, was tagtäglich geleistet wird – und die endlich die strukturellen Aufgaben anpackt, statt Lehrkräfte zu Sündenböcken zu machen. Die CDU tut das Gegenteil.
Jörg Dehlinger, Rektor, Kirchheim
