Leserbriefe

Demütigung Russlands

Zum Artikel „Mythen und Wahrheiten“ vom 8. März

André Bochow erhebt den Anspruch, sechs Mythen zum Ukrainekrieg zu entzaubern. Diesen Anspruch löst er – aus welchen Gründen auch immer – an vielen Stellen nicht ein. In der Verkürzung entstehen so Halbwahrheiten und damit Desinformation. Das fängt schon beim komplizierten Kapitel der Nato-Osterweiterung an. Bochow will mit den Zitaten von Gorbatschow und Putin und der Erwähnung des Nato-Russland-Rates den Eindruck erwecken, Russland habe mit der Nato-Osterweiterung keine Probleme gehabt.

Horst Teltschik, der Berater von Kanzler Kohl, widerspricht dem in seinem Buch „Russisches Roulette. Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden“ (2019) ausdrücklich. Bereits Boris Jelzin beschwerte sich am 10. Mai 1995 bei einem Vieraugengespräch mit Präsident Clinton, die Pläne für eine Nato-Osterweiterung – es ging um Polen, Ungarn und Tschechien – seien „nichts anderes als eine Demütigung Russlands“ und eine „neue Form der Einkreisung“. Ein halbes Jahr vor dem Nato-Gipfel von Madrid im Juli 1997, bei dem Polen, Ungarn und Tschechien der Nato-Beitritt angeboten wurde, äußerte Jelzin bei einem Treffen in Helsinki, die Nato-Perspektive der Ukraine sei eine rote Linie für Moskau, und verlangte: „Die Erweiterung soll sich nicht auf ehemalige Sowjetrepubliken erstrecken.“

Der „Ständige Gemeinsame Nato-Russland-Rat“ – im Rahmen der sogenannten Nato-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997 geschaffen – sollte „das wichtigste Forum für Konsultationen . . . in Krisenzeiten sein.“ Dieser Anspruch wurde nie eingelöst. Diplomat Wolfgang Ischinger (Chef der Münchner Sicherheitskonferenz von 2008 bis 2022) bezeichnete dies am 29. Januar 2015 in einer Panorama-Sendung – bezogen auf den Georgienkrieg 2008, die russische Annexion der Krim Ende Februar 2014 und den anschließenden Krieg in der Ostukraine – als „absolute Eselei“ und „grotesken Fehler“ des Westens.

Hans Dörr, Heinrich Brinker, Mitglieder der Friedensinitiative Kirchheim