Leserbriefe
So wenig aus der Geschichte gelernt?

Leserbrief zum Artikel „Nicht für die Heimat sterben?“ vom 24. Mai

Der Artikel über die Ukrainer, die zahlreich nicht an die Kriegsfront wollen, wirft in der heutigen Zeit einige Fragen auf. Zunächst mal die wichtigste Frage: Hat die Menschheit so wenig aus der Geschichte gelernt, dass immer noch durch Gewalt Konflikte gelöst werden sollen beziehungsweise müssen?

Immerhin legt der Philosoph Arnd Pollmann im zugehörigen Interview die Heuchelei derer offen, die behaupten, dass unsere Freiheit in der Ukraine verteidigt wird. Meine Freiheit wird dort jedenfalls nicht verteidigt, diese schaffe ich jeden Tag selbst, indem ich Gewalt und Kriege ablehne. Auch glaube ich nicht, dass man Freiheit oder Frieden wählen kann – dies kann man nur leben. Ich kenne niemanden in meiner näheren Umgebung, der Kriege befürwortet – zumindest niemanden, der dies derartig ernst meint, dass er selbst kämpfen würde.

Anfang des letzten Jahrhunderts gab es eine schöne Geschichte von verschiedenen Völkern, die auf einer Insel friedlich zusammenlebten. Ihre Heimatvölker führten irgendwann in ihren Stammländern Krieg gegeneinander, doch die Inselbewohner erfuhren es zunächst nicht, weil das Postschiff monatelang nicht kam und sie keine Nachrichten verfolgen konnten. Stellen sie sich nun vor, wie es sich angefühlt hat, wenn einem die Post nach Monaten auf einmal sagte, dass der Nachbar schon seit Monaten der Feind ist.

Wir sollten aus den vorgefertigten Denkschablonen herauskommen. Unsere Gegenwart ist eine Zeit voller Umbrüche und oftmals enden bisherige Gewissheiten sehr abrupt. Nutzen wir doch die Chance und stellen uns als Gesellschaft auf den Prüfstand. Eine ehrliche, schonungslose Bestandsaufnahme, die die Dinge, die nicht (mehr) funktionieren, benennen würde, wäre eine Chance auf Entwicklung – und Heilung.

Stefan Kromer, Kirchheim