Leserbriefe

Zensierende Sprachreinigung

Zum Artikel „Diskussion um Pflichtlektüre“ vom 16. März

Die Ulmer Deutschlehrerin Jasmin Blunt verweigert die Behandlung des Abiturthemas „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen im Unterricht, weil dieser Roman rassistische Sprache beinhalte, was sie in ihrer Menschenwürde verletze. Anscheinend glaubt sie, durch die Ausmerzung des Begriffs „Neger“ (Entschuldigung, des N-Worts!) auch gleich das Problem rassistischen Denkens und Handelns aus der Welt zu schaffen. Eine ideale, gewalt- und herrschaftsfreie Welt also durch Sprachreinigung?

Blunts Selbstermächtigung ist schon deshalb absurd, weil sie das 1951 entstandene Werk nicht als Zeugnis seiner Zeit betrachtet, in dem der Autor die Nachkriegsjahre in einer sprachlich realistischen Weise (etwa durch innere Monologe beteiligter Charaktere) darstellt. Vielleicht sollten sie und ihre im Zeitungstext zitierten Unterstützer, Vertreter eines oft geradezu diktatorisch zensierenden Zeitgeists, sich einmal mit dem ­Namensgeber des wichtigsten deutschen Literaturpreises (Koep­pen bekam ihn 1962) auseinandersetzen. Georg Büchner schrieb 1835 in einem Brief zur Rechtfertigung der ungeschönten Sprache in seinem Revolutionsdrama „Dantons Tod“: „Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen.“ 

Gerade diesen aufklärerischen, zum Ziel des mündigen Bürgers führenden Anspruch, den Büchner hier dem Leser zuspricht, stellen Blunt und ihre Unterstützer in Abrede. Aber auch angesichts von für Jugendliche zugänglichen Gewaltdarstellungen aller Art im Internet wirken die etwa vom bildungspolitischen Sprecher der SPD, Stefan Fulst-Blei, geäußerten Bedenken geradezu lächerlich. Sein Verweis auf Gefahren für die Schüler durch möglicherweise mangelhafte „pädagogische Begleitung der Lektüre im Unterricht“ provoziert die Frage, welches Verständnis von Schule er, Blunt und andere Bedenkenträger haben.

Josef Janisch, Kirchheim