Noch versperrt dichter Nebel die Sicht ins Tal, von den golden verfärbten Blättern tropft es. Die Reifen der beiden Fahrräder drücken schmatzend ihre Spuren in den feuchten Boden. An der Grillstelle Quieckereck zwischen Schopfloch und Ochsenwang meint Martin Gienger beiläufig: „Das ist eine von uns. Die sollte man auch mal frisch hochmauern.“ Das Instandhalten von Feuerstellen
gehört zu den Aufgaben des hauptamtlichen Naturschutzdienstes des Landkreises Esslingen, knackiger auch Ranger genannt. Mehr noch: Martin Gienger fühlt sich dafür verantwortlich, dass Ausflügler ordentliche Rastplätze vorfinden. „Da könnte man den Namen hinschreiben“, meint er stolz.
Heute geht es darum, Besucher zu informieren. Wie jeden zweiten Sonntag von April bis Oktober schwingt er sich auf sein Rad, auf dem Ärmel das gelb-schwarze Landkreis-Wappen. Kräftig tritt der 55-Jährige Richtung Bahnhöfle in die Pedale. Ob der Umstieg auf ein E-Bike keine Option ist? „Mein Radius wäre sicher größer“, sagt er achselzuckend. „Aber so lange ich es so schaffe.“
Immer wieder stellt er das Fahrrad ab, schultert seinen Rucksack und geht zu Fuß weiter. So, um über schmale Wege zur Heimensteinhöhle zu gelangen. Ein Schild weist auf die Brutzeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. Juli hin. Wanderfalken und Kolkraben haben dort ihr Domizil. Jetzt dürfen Neugierige hinunterkraxeln. „Ich gucke, ob das Gitter offen ist“, sagt Martin Gienger, macht die Taschenlampe an und verschwindet in dem steinernen Schlund. Soweit ist alles in Ordnung. In einer Ritze hat er eine kleine Fledermaus entdeckt. „Das ist untypisch“, sagt er. In Durchgangshöhlen wie diese kriecht der Frost – kein gutes Quartier also für den Winterschlaf der Flattertiere.
Im Gespräch mit Wanderern
Führungen, in denen er Teilnehmerinnen und Teilnehmern verschiedene Lebensräume nahebringt, gehören ebenso zu seinem Job wie die Tour an Sonn- und Feiertagen. Bereits zum dritten Mal kreuzt er an diesem Morgen den Weg eines Esslinger Ehepaars, das in der Nähe der Ziegelhütte zu Fuß über die Alb streift. „Können Sie uns sagen, zu welchem Baum das gehört?“, fragt Günther Schulz. In der Hand Samen, die an Schraubenflieger eines Ahornbaums erinnern und ein Blatt. Martin Gienger weist auf den gesägten Rand hin. „Das ist von einer Hainbuche“, klärt er auf. Ob es sich um Flora und Fauna am Albtrauf dreht, um Hang- und Schluchtwälder, die zur Unesco-Anerkennung des Biosphärengebiets geführt haben – der Forstwirtschaftsmeister weiß Bescheid. Seit 1989 ist er beim Kreis beschäftigt. „Ranger“ nennt er sich 28 Jahre.
Dauerbrenner an den immergleichen Plätzen am Albtrauf sind wilde Feuerstellen. Um weiteres Zündeln im Keim zu ersticken, räumt der Neidlinger herumliegendes Holz weg. „Die Grillstelle war schon“, bekommt er nicht selten von Menschen zu hören, die ihr Stockbrot oder Würstchen inmitten von Gras ins Feuer halten.
Aufklären und mit den Leuten reden. Das ist es, was Martin Gienger aus dem Effeff beherrscht. „Ich finde es ja toll, dass ihr nicht mit dem Auto fahrt“, so begrüßt er drei Mountainbiker, die auf einer von Heidekraut übersäten malerischen Schafweide unterwegs sind – auch das ein durch grünumrandete Schilder gekennzeichnetes Naturdenkmal. Radfahren ist tabu. „Hier schiebt ihr bitte. Dort hinten könnt ihr wieder aufsteigen“, sagt der Ranger freundlich. Auf Pfaden im Wald hat er gegenüber Mountainbikern einen humorvollen Spruch auf Lager, um die „Zwei-Meter-Regel“ zu veranschaulichen: „Ihr müsst den Meterstab quer nehmen, nicht längs.“ Seit geraumer Zeit beobachtet der Naturschützer, wie Wanderwege erodieren oder immer breiter werden. Wünschenswert fände er, wenn sich Biker wie Gleitschirmflieger und Kletterer an Vorgaben hielten. „Mit ihnen klappt das wunderbar“, sagt er. „Kletterer rufen uns sogar an, wenn sie sehen, dass ein Kolkrabe brütet.“ Der Felsen werde dann gesperrt, aber auch früher als geplant wieder freigegeben.
Extreme Temperaturunterschiede am Fels
Wie vielen Erholungssuchenden haben es Martin Gienger die steinernen Aussichtspunkte besonders angetan. An manchen Stellen habe man die Zugänge aber reduziert, um Arten, die nur hier wachsen, zu schützen. Auf dem Mittagsfelsen blickt er auf den Boden. Wo Wanderer ihre Stiefel hinsetzen, ist außer Gestein und Erde nichts zu sehen. Nur in den Mulden und an den exponierten Stellen spitzt Grün hervor. „Hier gibt es Temperaturunterschiede von bis zu 100 Grad“, erklärt Martin Gienger. „In diesem seltenen Lebensraum kommen nur Spezialisten über die Runden.“ Weißer und scharfer Mauerpfeffer wachsen hier. Der Traubensteinbrech kümmert vor sich hin. „Der war schon üppiger“, bedauert Martin Gienger. Die enorme Sommerhitze habe dem Pflänzchen zugesetzt.
2020 lag besonders viel Müll herum
Was der Natur auch zusetzt, sind an den Hotspots herumliegende Einweggrills, Coffee-to-go-Becher und Pizzaschachteln. Montags heißt es für den Ranger deshalb erst einmal, den Müll einzusammeln. „Furchtbar“ sei das im Corona-Jahr 2020 gewesen.
Auf den Wochenend-Streifzügen muss er selten eingreifen. Würde er jemanden erwischen, der etwa Silberdisteln abschneidet, dürfte er sie und die Rebschere abnehmen. Auch das Aufnehmen von Personalien ist erlaubt. Nötig war das in all den Jahren fast nie. Martin Giengers Credo: „Ich will die Menschen für die Natur begeistern – aber mit Regeln.“
Vom Boßler bis zum Jusi
Das Gebiet, für das der hauptamtliche Naturschutzdienst im Landkreis Esslingen zuständig ist, zieht sich vom Boßler über das Neidlinger Tal, die Schopflocher Alb und den Breitenstein über den Teckberg, das Lenninger Tal und den Hohenneuffen bis zum Jusi bei Kohlberg. Insgesamt misst die Albkante 70 Kilometer. Dazu gehören fünf Kernzonen des Biosphärengebiets Schwäbische Alb, 13 Naturschutzgebiete, 14 Landschaftsschutzgebiete und mehr als 100 Naturdenkmale, darunter der Neidlinger Wasserfall und 32 Felsen.
Hauptaufgabe der Ranger ist der Schutz von Lebensräumen. Dazu gehören unter anderem Streuobstwiesen, Quellen und Bachläufe. Aufgaben wie Landschaftspflegearbeiten und den Naturschutz-Streifendienst von April bis Oktober erledigt Martin Gienger im Landkreis zusammen mit seinem Kollegen Steffen Wachter.
Voraussetzung für den Job, zu dem im Winter das Präparieren der Loipen gehört, ist ein „grüner Beruf“ plus Fortbildung zum geprüften Natur- und Landschaftspfleger. Neben dem Instandhalten von 24 Grillstellen sowie 160 Tischen und Bänken und 70 Orientierungstafeln kümmern sich die Ranger um die Sauberkeit im Naherholungsgebiet. Nach Wochenenden fahren sie alle 58 Mülleimer an. Bis zu 15 Tonnen Müll kommen so jährlich zusammen. ank