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Aller guten Dinge sind ... zwei Mal 100 Jahre

Jubiläum Gertrud Lang hat ihren hundertsten Geburtstag bereits im April erlebt. Ihr Ehemann Ernst folgt an Silvester. Die gemeinsamen „zweihundert Jahre“ feiern sie jetzt mitten im August. Von Andreas Volz

Auf 200 Jahre kann das Kirchheimer Ehepaar Ernst und Gertrud Lang am 23. August zurückblicken: Beide sind Jahrgang 1922, und am Dienstag ist genau die „Mitte“ zwischen ihren Geburtstagen erreicht. Gertrud Lang kam am 15. April in Frickenhausen zur Welt, ist aber in Kirchheim aufgewachsen. Ernst Lang wurde an Silvester geboren und lebt seit nahezu 100 Jahren in seinem Geburtshaus in der Dettinger Vorstadt.

Ihren hundertsten Geburtstag konnte Gertrud Lang im April nicht groß feiern, wegen der Corona-Pandemie. Der 23. August als passender Tag für die
 

Solange man zu zweit ist, ist es gut.
Ernst und Gertrud Lang
sind seit 1951 miteinander verheiratet, also seit 71 Jahren.

gemeinsameFeier wäre auch deshalb geeignet, weil die Eheleute da ihren71. Hochzeitstag begehen können, zumindest den standesamtlichen. Trotzdem mussten sie ihr Fest zum „Zweihundertsten“, das sie im Kreis von Verwandten und Freunden feiern, jetzt auf das Wochenende vorverlegen – wegen des Urlaubs in der Gaststätte.

„Kein Rezept“ fürs hohe Alter

Wie wird man hundert Jahre alt? Die wichtigste Antwort: „Es gibt kein Rezept.“ Für sich selbst hat Ernst Lang zwar eine gewisse Vorstellung: „50 Jahre lang war ich jede Woche mindestens einmal schwimmen. Außerdem habe ich 38 Jahre lang aktiv beim Liederkranz gesungen.“ Schwimmen und Singen, das wäre also seine Formel für ein langes Leben. „Aber“, fügt er verschmitzt hinzu, „meine Frau hat das nicht gemacht – und sie ist auch so alt geworden.“

An dieser Stelle meldet sich Gertrud Lang ihrerseits zu Wort: „In han halt dahoim g’schafft.“ Die Arbeit hat das Leben der beiden auf jeden Fall stark geprägt. Gertrud Lang hat in der Kriegs- und Nachkriegszeit auf dem Nürtinger Landratsamt gearbeitet. Unter anderem war sie für die Unterstützung von Familien zuständig, deren Väter im Krieg waren.

Ernst Lang dagegen war selbst im Krieg, „in Russland“. Im Oktober 1941 wurde er eingezogen, im März 1942 ging es zum Fronteinsatz. Anfang Juli 1944 geriet er in Gefangenschaft. „Fünf Jahre Ural“, sagt er zu diesem Thema und erwähnt noch das Stichwort „Asbest“. Zwei Mal hat er im Krieg „Dusel gehabt“ – als ihn eine Fliegerbombe rechts an Arm und Schulter verletzte und als ein Durchschuss glimpflich ablief: „Der Schuss ist durch meine linke Hosentasche gegangen – und durch das Zigarettenetui, das ich in der Tasche hatte.“ Er hat das Etui nach Hause geschickt. Sein Vater ließ die Löcher polieren und nutze das Etui weiterhin.

Im April 1949 kehrte Ernst Lang nach Kirchheim zurück: „Ich war dann wieder beim Teckboten beschäftigt, als Schriftsetzer.“ Die Lehre hatte er von 1937 bis 1940 beim Teckboten absolviert. „Mit dem Handwägele“ ging es damals noch zum Bahnhof, von wo aus die Zeitungen für Weilheim und das Lenninger Tal per Zug verschickt wurden. 1962 hat sich Ernst Lang schließlich mit einer Versicherungsagentur selbständig gemacht. Das war auch der Grund für zwei wichtige Anschaffungen: „Da habe ich ein Auto gebraucht – und ein Telefon.“ Mit dem Auto ging es auch in den Urlaub: entweder in die Lüneburger Heide oder zur elsässischen Verwandtschaft, die mittlerweile im südfranzösischen Menton wohnte. 

Kirchheim noch ohne Autobahn

Nahezu hundert Jahre haben die Langs nun in Kirchheim verbracht und dabei manche Veränderung miterlebt. „Mein Vater war noch beim Autobahnbau beschäftigt“, erinnert sich Ernst Lang. Im Freibad gab es noch ein Damen- und ein Herrenbecken – mit Bretterwand, die beide Becken blickdicht voneinander abtrennen sollte, aber zahlreiche Astlöcher aufwies. Der Bahnhof, zu dem Ernst Lang die Zeitungen brachte, befand sich natürlich noch an alter Stelle, wo heute das Teck-Center steht.

Was hat sich noch geändert? Schulkameraden kommen nicht zum großen Fest. Die gibt es längst nicht mehr. Aber ganz am Schluss verraten die Eheleute doch noch so etwas wie ein Rezept fürs Altern – Humor und positives Denken: „Wir sind im Großen und Ganzen zufrieden. Uns gefällt es gut in unserer Wohnung, besser als in einem Altenheim. Solange man zu zweit ist, ist es gut." Das Einkaufen übernehmen die Nachbarn – wobei Ernst Lang betont, dass das nicht an seinem Alter liegt, sondern an Corona.