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Drei Mal Musik im Jahr ist ihm zu wenig

Regeln Straßenmusiker Pit ärgert sich über Kirchheims Vorschriften für Musik im Zentrum. Wegen seiner Krankheit sucht er dringend eine Unterkunft. Von Thomas Zapp

Er nennt sich „Pit, the man from the street“, ist 63 Jahre alt und liebt die Musik. Er hat eine Gitarre und eine markante Stimme. „Ich habe 200 Songs drauf, vor allem aus den Sixties“, sagt er. Gerne würde er sie in der Kirchheimer Fußgängerzone spielen, aber er traut sich nicht mehr, denn sein Kontingent ist erschöpft. „Hier darfst du nur drei Mal im Jahr spielen, das ist doch lächerlich“, sagt er in breitem Mannheimer Dialekt. 

Damit bezieht er sich auf die „Spielregeln“, die in Kirchheim gelten: An einem Ort darf in der Teckstadt eine halbe Stunde musiziert werden,
 

Das wäre mein Todesurteil.
Pit kann ohne Auslandsversicherung nicht mehr nach Spanien gehen.
 

dann muss auf eine Position in mindestens 50 Metern Entfernung gewechselt werden. Maximal darf der oder dieselbe Musikerin an drei Tagen im Jahr auftreten – wohl um Wiederholungen zu vermeiden. „Die Mitbürger sollen sich an Ihrer Musik erfreuen können und sich nicht gestört fühlen“, heißt es auf einem Infoblatt. „So etwas habe ich nirgendwo anders erlebt“, sagt Pit und lacht ein rauchiges Lachen.

Die Selbstgedrehten sind sein einziges Las­ter, Alkohol rührt er nach eigenen Angaben nicht an. Dabei weiß er, dass Nikotin seinem Magenkrebs nicht guttut. „Ich habe Schmerzen“, sagt der Frührentner. Seine Eltern und seine neun Geschwister sind alle schon an Krebs gestorben. Medikamente bekäme er, er müsste nur zum Arzt gehen. Doch das ist in seiner Situation nicht so einfach: Pit will seine Sachen nicht unbeaufsichtigt lassen, sie sind sein ein und alles. Daher hat die Suche nach einer sicheren Unterkunft bei ihm aktuell höchste Priorität.

So war es nicht immer: In seinem früheren Leben hat er Bau- und Kunstschlosser gelernt und sollte eigentlich die Firma seines Ziehvaters übernehmen. Doch nach einem schweren Arbeitsunfall vor etwa fünf Jahren wurde bei ihm während der Reha der tückische Krebs diagnostiziert. Pit, der eigentlich Peter heißt, ging daraufhin erst mal in den Süden, lebte in Frankreich und Spanien und erfreute sich dort auf den Straßen hoher Anerkennung. „In Girona musste ich sogar vorspielen, aber als ich anfing, hat der Verantwortliche gleich gesagt ,It’s okay‘ und zeigte mit dem Daumen nach oben“, erzählt er schmunzelnd.

Gerne würde er wieder wie damals in Spanien am Meer leben, doch Pit weiß auch: „Das wäre mein Todesurteil.“ Denn die medizinische Versorgung ist dort nicht wie in Deutschland. Außerdem bräuchte er für einen längeren Aufenthalt dort eine Auslandskrankenversicherung, die er nicht hat.

Die Schmerzen werden stärker

Derweil drängt die Zeit: Die Nächte werden kälter und die Schmerzen stärker. Aktuell ist Pit nur bei der Diakonie in Kirchheim gemeldet. Zumindest theoretisch könnte er dort auch einen Platz zum Duschen bekommen – doch beim letzten Besuch gab es Unstimmigkeiten, weil eine Gruppe bereits einen Termin hatte und vor ihm dran war. „Bei uns muss man die Termine planen, weil die Duschen auch gereinigt werden“, sagt Reinhard Eberst, Leiter der Bezirksdiakoniestelle. Er habe Pit auch ein Zimmer für Notübernachtungen in Nürtingen angeboten, doch die lehnte „the man from the street“ ab. „Dort ist es noch schlimmer als in Kirchheim“, meint er. Notunterkünfte meidet er ebenfalls konsequent: „Da gibt es zu viele Drogen und Gewalt.“

Auch in der Teckstadt hat er einige unschöne Dinge erlebt: Als er im Sommer an einer Brücke am Bahnhof draußen nächtigte, wurde er mit Steinen beschmissen. Als er die Augen öffnete, rannten junge Mädchen weg – ob sie die Täterinnen waren, konnte er nicht sagen. Ein Hundebesitzer wollte ihn in der Kirchheimer Fußgängerzone angreifen, doch Pit wich aus. Gewalt lehnt er komplett ab, ebenso wie jeglichen Extremismus. „Mein Vater war bei den Nazis im KZ“, sagt er.
Es gibt aber auch positive Momente, etwa wenn Menschen von seiner Musik berührt werden und ihm Geld geben – das können auch schon mal Scheine sein. Ladenbesitzer an der Kirchheimer Marktstraße geben ihm regelmäßig einen Kaffee aus und lassen ihn vor ihrem Geschäft sitzen – auch wenn er momentan wegen des Konflikts mit dem Hundebesitzer den Standort gewechselt hat. Seine Erfahrungen in Kirchheim hat er auf Kartons aufgeschrieben und an seinem Fahrrad und der Gitarre befestigt. Auch dadurch kommt er immer wieder mit Menschen ins Gespräch, die stehen bleiben, um die Texte zu lesen. Nur ein Wohnangebot hat er in Kirchheim und Umgebung noch nicht bekommen: „Ich kann ja auch etwas zahlen“, sagt er. Und vielleicht tut sich auch noch etwas an anderer Stelle. „Wir werden die Richtlinien für Straßenmusiker gegebenenfalls anpassen, aber das kann sicher dauern“, heißt es bei der Stadt Kirchheim. Wer „Pit, the man from the street“ live hören will, kann ihn natürlich buchen – oder ihm eine Unterkunft anbieten. 

Info Über diese Nummer kann man mit dem Straßenmusiker Kontakt aufnehmen: 0 15 20/5 67 22 10