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In der Metzgerstraße fühlt sich Kirchheim an wie Berlin

Innenstadt Wie macht man aus einem „toten Eck“ eine angesagte Straße? Die Kirchheimerinnen Katja Dongus, Susi Mast und Anna Fumic zeigen in der Metzgerstraße, wie das gehen kann. Von Antje Dörr

Die Metzgerstraße gehört eigentlich nicht zu den Ecken, die einem spontan in den Sinn kommen, wenn vom „schönen Kirchheim“ die Rede ist. Der Name versprüht wenig Charme, es gibt kaum Fachwerk und nicht viel Grün. Wer die Gasse deshalb links liegen lässt, tut ihr jedoch unrecht und verpasst obendrein eine ganze Menge. Denn hier ist in den letzten Jahren etwas entstanden, das nicht zum oft gesungenen Klagelied von den sterbenden Innenstädten passt, sondern Hoffnung für die Zukunft macht. Und das Modellcharakter für andere haben könnte.

 

Wir brauchen nicht noch eine Stadt, in der es einen H&M gibt.
Susi Mast, „MetzgerZehn“-Inhaberin, über attraktive Innenstädte.

 

Dass die eher unscheinbare Straße heute viele Menschen anzieht, ist der Verdienst von drei Frauen, die hier ihr Geld verdienen und die nicht nur das Geschäftliche verbindet: Katja Dongus, Susi Mast und Anna Fumic. Katja Dongus ist das Urgestein der Straße. Seit 20 Jahren betreibt sie mit ihrer Mutter die „KaBine03“. Anna Fumics Laden war bis vor Kurzem das „Mi-Ni“, ein Geschäft für Kinderkleidung. In diesen Tagen wird es von Nachfolgerin Lydia Gebhardt übernommen. 2020 kamen Susi Mast und ihr Mann mit dem „MetzgerZehn“ dazu und bereicherten die Straße um ein gastronomisches Angebot. 

„Choose Happy“ ist das Motto, das in den vergangenen Jahren gut sichtbar an den Fensterscheiben prangte und einen unsichtbaren Bogen um die Läden des befreundeten Trios spannte, die alle Mütter und ungefähr im gleichen Alter sind. Entstanden war es während der Pandemie. „Alle waren so mies drauf und gestresst“, erinnert sich Susi Mast, und Katja Dongus ergänzt: „Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man glücklich sein kann, ein Gefühl haben kann von Leichtigkeit.“

Selbstständig zu sein, ist allerdings nicht immer nur mit „happiness“, sondern auch mit viel Arbeit verbunden – und manchmal auch mit Frust. „Natürlich sind wir nicht immer happy“, sagt Susi Mast. Die Straßenlaternen in der Straße sind defekt, eine Reparatur lässt auf sich warten. Mit Grausen erinnert Mast sich daran, dass das „MetzgerZehn“ beinahe nicht hätte eröffnet werden können. Der Grund: Statt einer Toilette waren vier Stück vorgeschrieben. Katja Dongus erlebte in diesem Jahr einen Schock, als ihr liebevoll gepflegter Instagram-Account – für sie ein wichtiges Marketing-Instrument – gehackt und schlussendlich gelöscht wurde. Doch die drei lassen sich nicht unterkriegen. „Das Schöne hier ist, dass man Support hat“, sagt Anna Fumic. „Wir stützen uns gegenseitig.“ 

Und zu dritt sind Projekte, die man alleine niemals stemmen könnte, plötzlich kein Problem mehr. Ein Beispiel ist der „Happy Donnerstag“, ein Veranstaltungsformat, das die drei Frauen gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Ein DJ, kühle Getränke, eine Tischtennisplatte und verlängerte Öffnungszeiten sind die Zutaten, aus denen immer wieder donnerstags ein Nachbarschaftsfest entsteht, das weit über die Grenzen der Metzgerstraße ausstrahlt. Um die Nerven der Anwohner zu schonen, darf die Veranstaltung nicht beliebig oft stattfinden. „Die Nachfrage, es häufiger zu machen, wäre da“, sagt Dongus.

Dass die Metzgerstraße für viele ein beliebtes Ziel ist, liegt sicher auch daran, dass durch sie ein Hauch von Großstadt weht. Man könnte meinen, die drei Frauen hätten ihre Geschäftsmodelle genau aufeinander abgestimmt, was natürlich nicht so ist, sondern schlicht Zufall. „Seine Nachbarn kann man sich nicht aussuchen. Aber hier passt es einfach“, sagt Katja Dongus. Und so schanzen sich die drei gegenseitig die Kundschaft zu und freuen sich über ihren Erfolg.

Empfehlen können sie die Zusammenarbeit allen Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern. „Wir würden uns freuen, wenn es noch viel mehr solche Ecken geben würde“, sagt Dongus, die gemeinsam mit Susi Mast im City-Ring aktiv ist. Und Mast ergänzt: „Wir brauchen nicht noch eine Stadt, in der es einen H & M gibt. Wir brauchen inhabergeführte Geschäfte, die Spaß machen und miteinander arbeiten.“