Die Zuwanderungszahlen sind im ersten Quartal des Jahres rückläufig, doch trauen will dem Frieden im Esslinger Landratsamt niemand so recht. Der Landkreis wappnet sich bei der Notunterbringung von Geflüchteten für eine „Daueraufgabe“, wie Landrat Heinz Eininger nicht müde wird, zu betonen. Das bedeutet, Mietverträge werden, wo immer es geht, verlängert. Wo sich Gelegenheit für neue Standorte bietet, wird zugeschlagen, um wegfallende Unterkünfte zu ersetzen.
Eine solche Gelegenheit bietet sich nun in Kirchheim. Über die Immobilienplattform „ImmoScout24“ hat sich der Landkreis in der Maria-Merian-Straße das 42 Ar große Grundstück eines privaten Anbieters geangelt. Ein Mietobjekt für die Dauer von zwei Jahren, mit Option auf Verlängerung und mitten im Gewerbegebiet „Kruichling“ nahe der Autobahn. Dort sollen in Wohncontainern ab 2025 bis zu 200 Menschen unterkommen können. Der zuständige Ausschuss im Kreistag hat bereits die Baufreigabe erteilt. Weil das
Gelände leicht abschüssig ist, muss mehr für die Erschließung hingeblättert werden. Genauer gesagt: 1,9 Millionen Euro, die der Kreis vom Land wieder erstattet bekommt. Damit kommt die Stadt Kirchheim nicht nur ihrer Aufnahmeverpflichtung nach, der Landkreis honoriert dies seit diesem Jahr damit, dass 30 Prozent der Plätze in der vorläufigen Unterbringung angerechnet werden auf die Anschlussunterbringung, zu der die Kommunen mit festem Wohnraum verpflichtet sind. Davon profitieren vor allem die Großen Kreisstädte, die bisher die Hauptlast tragen.
Alles gut also? Nicht ganz. Im Kirchheimer Rathaus reagiert man verschnupft auf den Vorstoß des Landkreises, über den man zum Jahresende unterrichtet worden sei. Ein Containerdorf weit draußen vor den Toren der Stadt, ohne Versorgungsstruktur und eingebettet zwischen Gewerbebetrieben – „Allein die Tatsache, dass das Baurecht kein Wohnen im Gewerbegebiet zulässt“, meint Kirchheims Baubürgermeister Günter Riemer, „zeigt, dass das kein idealer Standort ist“. Riemer erinnert sich zudem an Proteste von Gewerbetreibenden, die es in Zusammenhang mit Lkw-Stellplätzen am dortigen Autohof schon in früherer Zeit gegeben habe. Über die Passivrolle der Stadt beim privaten Grundstücksdeal ist Riemer, der zugleich auch Kreisrat ist, wenig glücklich: „Wir dürfen mitreden, aber wir haben nichts zu sagen.“ Weshalb die Gewerbefläche überhaupt brach liegt? Auch der Bürgermeister findet dafür keine Erklärung. Bauvoranfragen für eine andere Nutzung habe es in der Vergangenheit schon gegeben, sagt er. Daraus sei jedoch nie etwas geworden.
Für Kirchheims Sozialbürgermeisterin Christine Kullen hat die Geschichte zwei Seiten. „Natürlich entlastet uns dieser Standort an anderer Stelle“, sagt sie. Doch für geeignet hält auch sie ihn nicht. Sie vertraut darauf, dass der Landkreis seine Zusage einhält und einen Hausmeister, Sozialbetreuung und bei Bedarf auch Security-Kräfte stellt. Die Stadt will ihren Beitrag leisten, indem sie das ehrenamtliche Kirchheimer Flüchtlingsnetzwerk „FLINK“ unterstützend vermittelt.
Und der Kreis? Der ist zunächst froh über dringend benötigte Kapazitäten. „Wir dürfen uns nichts vormachen“, meint Landrat Heinz Eininger zu den rückläufigen Flüchtlingszahlen der vergangenen drei Monate. „Jedes neue Angebot hilft uns, die Belegung von Sporthallen zu vermeiden.“
Landkreis ist ständig auf der Suche
Die Kreisverwaltung geht davon aus, dass angesichts wachsender Krisenherde in der Welt der große Bedarf an Notunterkünften dauerhaft bestehen bleiben wird. Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine ist derzeit allerdings rückläufig. Im Moment leben etwa 250 Ukraine-Flüchtlinge in Notquartieren im Nürtinger Hauber-Areal. Die große Mehrheit der rund 9000 Menschen, die seit Kriegsbeginn in den Landkreis gekommen sind, haben direkt in den Kommunen Wohnraum gefunden oder sind weitergereist.
Gleichzeitig kamen im vergangenen Jahr etwa 2200 Menschen aus anderen Herkunftsländern hierher, die allermeisten stammen aus Syrien, der Türkei und Afghanistan. Sie leben in Notunterkünften des Landkreises. Neben größeren Quartieren wie im Esslinger Roser-Areal plant der Kreis zusätzliche Standorte für Zelte und Container. Außer in Kirchheim auch in Köngen, Nürtingen und in Hochdorf. bk