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Sexualisierte Gewalt: Handballer gehen in die Offensive

Missbrauch Die Handballer der HSG Owen/Lenningen gehen beim Thema sexualisierte Gewalt im Sport in die Offensive – mit einem umfangreichen Konzept zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Von Bernd Köble

Nicht immer sind es so gravierende Fälle wie die des Handballtrainers im SV Fellbach, der im Mai für hundertfachen Missbrauch von Kindern zu mehr als fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Oder Beispiele jahrelanger Vergewaltigungen, wie sie eine ARD-Recherche erst vor wenigen Wochen innerhalb des Deutschen Schwimmverbands an die Öffentlichkeit brachte. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sie begünstigt auch sexualisierte Gewalt, wenn wie in Sportvereinen Körperkontakt und Vertrautheit dazugehören.

 

Wir wollen aufeinander aufpassen.
Barbara Wohlfarth Die Jugendleiterin der HSG OLE zum Kernthema bei den Handballern

Immer mehr Vereine nehmen das Thema ernst und reagieren. Die Handball-Spielgemeinschaft Owen/Lenningen (HSG OLE) hat jetzt ein Kinder- und Jugendschutzkonzept für ihre Mitglieder aufgelegt, das auch einen Verhaltensleitfaden für Trainerinnen und Trainer beinhaltet und die Frage klärt: Was darf ich und was nicht? Kein Einzeltraining hinter verschlossenen Türen, kein gemeinsames Duschen mit dem Trainer, Respektierung von Intimbereichen, etwa in Umkleiden. Gemeinsames Nächtigen nur in dem Rahmen, den die Aufsichtspflicht vorgibt. Transparenz immer und überall. Wer im Trainingsbetrieb Umgang mit Kindern hat, muss einen Ehrenkodex unterschreiben (siehe Info) und ein polizeiliches Führungszeugnis nachweisen.

Das klingt zunächst hart und stellt vieles auf den Kopf, was im Vereinsalltag lange Tradition hat. Das Motiv dahinter bringt Jugendleiterin Barbara Wohlfahrt in wenigen Worten auf einen simplen Nenner: „Wir wollen aufeinander aufpassen.“ Wohlfahrt ist Mutter zweier Kinder und als Erzieherin auch im Berufsleben mit dem Thema konfrontiert. Der Fall in Fellbach, aber auch die versuchte Vergewaltigung einer Zehnjährigen am Radweg in Gutenberg am hellichten Tag im Frühsommer dieses Jahres haben ihr verdeutlicht: Das geschieht nicht irgendwo, das geschieht auch bei uns.

Sie und ihre beiden Mitstreiterinnen Alicia Tegethoff und Katja Schur in der Jugendleitung der HSG haben sich fortgebildet und mit Hilfe von Verbandsseite das Leitbild verschriftlicht. Unterstützung kam von der Abteilungsleitung. Im Vorstand stieß das Trio anfangs noch auf Skepsis, vor allem was den Nachweis von Unbescholtenheit angeht. „Niemand will das Führungszeugnis seines Vereinskollegen lesen,“ räumt Wohlfahrt ein. Man wolle den Kindern auch nicht den Eindruck vermitteln, im Verein seien Täter. Was man möchte – und darin sind sich inzwischen alle einig – ist ein Zeichen setzen und signalisieren: Schaut her, wir schauen hin.

Rund 50 ehrenamtliche Kräfte hat die HSG in der Jugend im Trainingsbetrieb mit 13 Mannschaften. Noch haben nicht alle unterschrieben, doch das hänge mit der zu Ende gehenden Urlaubssaison zusammen, betont Barbara Wohlfahrt. Was für sie zählt: Das Feedback ist durchweg positiv. „Natürlich kennen wir nicht alles, was hinter vorgehaltener Hand geredet wird,“ sagt sie. „Aber uns wurde bisher nichts dergleichen zugetragen.“ Im Gegenteil: Viele seien regelrecht dankbar, „dass sie endlich etwas in der Hand haben und nicht alles selbst entscheiden müssen.“ Beim einen Anstoß soll es nicht bleiben. „Das ist kein Konzept, das in die Schublade wandert, sobald wir alle Unterschriften eingesammelt haben,“ stellt die Jugendleiterin klar. Man will das Thema wachhalten, im gegenseitigen Austausch zwischen Trainerinnen und Trainern, aber auch in regelmäßigen Ausschuss-Sitzungen. Da Übungsleiter im Frühjahr häufig wechseln, wird es ohnehin ein fortwährender Prozess bleiben.

Und: Er wird flankiert durch Angebote wie sie seit vergangenem Wochenende in der Lenninger Sporthalle für Hochbetrieb sorgen. 45 Mädchen aus dem Verein lernen dort an zwei Tagen unter fachkundiger Leitung wie man sich bei Übergriffen behauptet und verteidigt. Ermöglicht hat den Kurs die BKK Scheufelen als einer der Geldgeber des Vereins. Überspannt wird er von einem Motto, das sich die HSG inzwischen in dicken Lettern auf die Fahnen geschrieben hat: Wir sind stark – nicht nur auf dem Spielfeld.

Nachgefragt bei Lisa Porada, Leiterin der Sportjugend im Landessportverband

Frau Porada, haben Sie den Eindruck, dass Vereine das Thema ernstnehmen?
Wenn wir betrachten, wie die Zahl der Vereinsanfragen zur Erstellung eines wirksamen Schutz- und Interventionskonzepts sowie von Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten gestiegen ist, wird das Thema in den Vereinen definitiv ernstgenommen. Nicht zuletzt durch die zuletzt zahlreichen großen Fälle in den Medien sind Vereine für das Thema stärker sensibilisiert.

Sie leisten als Verband Hilfe mit Leitlinien, Handlungsempfehlungen und Konzeptvorschlägen. Wie gut kommen die an?
Es geht zunächst darum, Vereinen Mut zu machen, sich der Aufgabe anzunehmen. Der Klick auf unsere Leitlinien ist der erste Schritt, indem man das Thema als relevant betrachtet. Genau prüfen, wieviele die Hilfen annehmen, lässt sich nicht. Aus Anrufen und vom Interesse an den Qualifizierungsangeboten lässt sich jedoch ableiten, dass sich immer mehr Vereine dem Thema zuwenden.

Wie lässt sich verhindern, dass man Übungsleiterinnen und -leiter, die ohnehin immer schwerer zu finden sind, damit abschreckt?
Man muss ihnen klar machen, dass es sich nicht um ein generelles Misstrauen handelt, sondern dass Maßnahmen dem Verein aber auch für sie selbst von Vorteil sind. Die Beantragung eines erweiterten Führungszeugnisses oder das Unterschreiben eines Verhaltenskodex ist ein überschaubarer Aufwand. Aus unserer Sicht ist das Engagement in Vereinen, die das bereits umsetzen, nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Viele fühlen sich wohler, wenn sie über das nötige Grundwissen und mögliche Handlungsstrategien verfügen. Auch seitens der Eltern wird dies ausdrücklich geschätzt.

Geht dadurch ein Stück Unbeschwertheit im Sportverein verloren, wie manche meinen?
Unser Ziel ist es, alle Vereine zum sicheren Schutzraum zu machen, so dass alle sich beim Sport frei und unbeschwert entfalten können. Durch eine Kultur des Hinsehens soll Unbeschwertheit gestärkt werden und nicht verloren gehen. Ein Schutzkonzept sollte als Qualitätsmerkmal eines Sportvereins betrachtet werden. Ein klares Bekenntnis zum Thema könnte ja auch dazu führen, dass Eltern ihre Kinder vorzugsweise in einem Verein anmelden, der damit wirbt, sich für den Schutz der ihm Anvertrauten einzusetzen. Bernd Köble