Lesetipps
Streit um 19 Obstbäume verzögert die Erschließung des Baugebiets

Wohnen Wegen der Auseinandersetzung um die Bäume im geplanten Baugebiet Schießhütte liegt das Projekt weiter auf Eis. Nun könnte im Oktober die Erschließung beginnen. Von Peter Dietrich

Neidlingen. Zu viele Streuobstwiesen seien in den vergangenen 30 Jahren Neubaugebieten gewichen, und das zu leichtfertig, sagt Neidlingens Bürgermeister Jürgen Ebler. Deshalb könne er das Verhalten des Naturschutzverbandes NABU durchaus verstehen. Flächendeckend geht dieser aktuell gegen Gemeinden vor, die auf Streuobstwiesen bauen wollen – wozu sie vom jeweiligen Landratsamt eine „Umwandlungsgenehmigung“ brauchen. Auch die Gemeinde Neidlingen war bei ihrem geplanten Baugebiet „Schießhütte“ davon betroffen. Am 18. April hat das Landratsamt Esslingen nun bei der Umwandlung die „sofortige Vollziehbarkeit“ angeordnet. Doch hat inzwischen die Vegetationsperiode begonnen, das „sofort“ für die Erschließung gilt also erst wieder ab 1. Oktober.

In einem Gutachten zum geplanten Baugebiet aus dem Jahr 2021 hatte das Büro „Dr. Florian Wagner & Partner“ bei den 19 Bäumen im geschützten Bestand zwei alte und noch vitale „Habitatbäume“ ausgemacht und in Bezug zu den von der Gemeinde angenommenen 20 000 Bäumen auf der Gemarkung gesetzt. Nach einer Luftbildauswertung habe Neidlingen 380 Hektar Streuobstfläche. Die Teilbereiche im Plangebiet seien 0,1 Prozent davon. Als Ausgleich schlugen die Gutachter eine Fläche weiter südlich vor, deren alte Streuobstbestände damals fast vollständig mit Brombeeren überwachsen waren. Diesen Ausgleich hat die Gemeinde inzwischen geschaffen. „Im persönlichen Gespräch habe ich dem NABU-Landesverband noch eine zusätzliche zweite Ausgleichsfläche angeboten“, sagt Ebler. Doch eine direkte Verständigung der Kontrahenten gelang nicht.

Vor dem am 13. März gestellten und am 18. April genehmigten Antrag auf Sofortvollzug hat Neidlingen zuerst auf Großbettlingen gewartet, die dortige Gemeinde war in einer ähnlichen Situation – mit dem Unterschied, dass dort die Erschließungsstraßen schon vorhanden sind. Dort kann die Erschließung nun beginnen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem Eilantrag der Gemeinde Recht gegeben und den Antrag auf einstweilige Verfügung des Naturschutzverbandes – gegen den Sofortvollzug – abgelehnt. Die Stuttgarter Entscheidung fiel also anders aus als die Entscheidung das Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Fall eines geplanten Gewerbegebiets von Bretten. Dort waren aber nicht nur 40 Obstbäume strittig, sondern auch die Korrektheit des Verfahrens. In Großbettlingen und Neidlingen wurde der Naturschutz hingegen in das Verfahren wie vorgesehen einbezogen.

Der NABU könnte nun, wie in Großbettlingen, auch im Fall von Neidlingen eine solche einstweilige Verfügung gegen den Sofortvollzug beantragen. Falls er das tut, könnte sich die Gemeinde Neidlingen in einem Eilantrag dagegen wehren, über den das Verwaltungsgericht Stuttgart dann wie im Fall von Großbettlingen in wenigen Wochen entscheiden müsste – bis Oktober wäre also genügend Zeit dazu.

Das Landratsamt kam nach fachlicher Begutachtung durch seinen Kreisökologen zu denselben Schlüssen wie der von der Gemeinde Neidlingen beauftragte Gutachter. Die Gemeinde habe keine Alternative zum geplanten Neubaugebiet. Die Häuser des Ortes sind von lauter Schutzgebieten umgeben, weitere Baugebiete kann es nach heutigem Stand nicht mehr geben, das Baugebiet „Schießhütte“ ist das Ende der Fahnenstange. „Das ist die einzige Fläche, die Neidlingen noch hat“, sagt Ebler.

Wohnraum für junge Familien

Auf ihr will die Gemeinde vor allem für junge Familien Wohnraum schaffen, er soll von Nahwärme versorgt werden. Ebler weiß, dass die Erschließung in eine schwierige Zeit fällt: Angesichts erheblich steigender Baupreise und wieder deutlich gestiegener Bauzinsen könnten sich immer weniger Menschen einen Hausbau leisten. Das hänge natürlich auch vom Preis des Bauplatzes ab. Dazu könne die Gemeinde aber noch keine Aussage machen, denn noch stünden die Kosten der Erschließung nicht fest.