In den Zentralen Notaufnahmen (ZNA) der Kliniken Kirchheim und Nürtingen ist an den Wochenenden und feiertags die Hölle los. Wenn Menschen Zeit haben, passieren mehr Unfälle, werden Drogen und zu viel Alkohol konsumiert oder Streitigkeiten nonverbal ausgetragen. Dazu kommen medizinische Notfälle, die eigentlich die Hauptaufgabe der Notaufnahmen sind. Seit rund zwei Wochen ist das Patientenaufkommen dort noch einmal gestiegen. Der Grund: Die Notfallpraxen in Kirchheim und Nürtingen, die zwar nicht von den Kliniken betrieben werden, sich jedoch im gleichen Gebäude in unmittelbarer Nähe befinden, haben ihre Öffnungszeiten drastisch eingeschränkt: Statt von 8 bis 23 Uhr können Patienten nur noch von 10 bis 16 Uhr behandelt werden.
Eigentlich gibt es eine klare Aufgabenteilung. Die Notaufnahmen, betrieben von den Kliniken, sind für lebensbedrohliche Notfälle und Unfälle zuständig. In den Notfallpraxen, die in Nürtingen und Kirchheim von Maltesern und niedergelassenen Ärzten betrieben werden, werden Patienten mit nicht lebensbedrohlichen Beschwerden behandelt, die aber nicht bis zur nächsten Sprechstunde warten können.
Doch wer bis zum Schluss der Notfallpraxis um 16 Uhr von keinem Arzt angeschaut worden ist, der geht – so der Sprecher der Medius-Kliniken, Max Pradler – einfach eine Tür weiter, auch wenn er dort eigentlich nicht richtig aufgehoben ist. „Allein in Kirchheim sind am Wochenende 30 Menschen nach 16 Uhr in die Notaufnahme gekommen, die eigentlich in die Notfallpraxis wollten“, sagt Max Pradler. Viele seien mit sogenannten „Lappalien“ vorstellig geworden, beispielsweise mit dem Wunsch nach einem Rezept oder einem Verbandswechsel. In Nürtingen sei die Zahl der Patienten um 15 Uhr – also eine Stunde vor Schluss – noch so groß gewesen, dass der anwesende Arzt in der Notfallpraxis sie gleich in die Notaufnahme geschickt habe. „Die Zentralen Notaufnahmen sind völlig überlastet“, lautet Pradlers Fazit. Leidtragende seien die Patienten, die deutlich länger warten müssten und für die weniger Zeit bleibe, aber auch die Ärztinnen und Pfleger. „Für das Personal ist das nicht zufriedenstellend, weil sie die Patienten nur noch abarbeiten können“, sagt Pradler.
Auch Marc Lippe, als Geschäftsführer der Malteser Bezirk Neckar-Alb zuständig für die Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdiensts im Landkreis Esslingen, ist über die Kürzung der Öffnungszeiten überhaupt nicht glücklich. Hintergrund ist die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, dass sogenannte Pool-Ärzte nicht mehr freiberuflich im ärztlichen Bereitschaftsdienst mitarbeiten dürfen, wie es bisher üblich war. Vorangegangen war ein entsprechendes Urteil des Bundessozialgerichts. Geklagt hatte ein Zahnarzt.
Um ihre Arbeitsbelastung zu reduzieren, war es bislang gängige Praxis, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ihre Bereitschaftsdienste in der Nacht und am Wochenende an diese Kolleginnen und Kollegen abgaben. „Das sind beispielsweise Ärztinnen, die aktuell nicht arbeiten, Rentner, Klinikärzte, die sich etwas dazuverdienen möchten“, sagt Marc Lippe. Leidtragende seien nun vor allem die Kliniken. Aber auch im Rettungsdienst sei die Einschränkung der Öffnungszeiten spürbar. „Wenn Patienten lange Wartezeiten haben, tendieren sie dazu, die 112 zu wählen“, sagt Lippe. „Dann kommen die Patienten in die Klinik, wo sie am wenigsten hingehören.“ Dass es so nicht bleiben kann, ist für Lippe klar. Anfang Dezember wolle die Kassenärztliche Vereinigung eine neue Lösung präsentieren.
InfoWer unsicher ist, wohin er gehen soll, wählt die 116 117. Patienten, die nicht mobil sind, erreichen unter dieser Nummer den Fahrdienst des Ärztlichen Bereitschaftsdiensts.
„Das war eine Win-win-Situation“
Der Weilheimer Hausarzt Dr. Wolf-Peter Miehe trauert der bisherigen Lösung, dass Ärzte unkompliziert Vertreter für den Bereitschaftsdienst engagieren können, ebenfalls hinterher. „Das war eine Win-win-Situation“, sagt der Vorsitzende der Kreisärzteschaft Nürtingen. Die Pool-Ärzte hätten teilweise von den Einnahmen gelebt, die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte seien entlastet gewesen.
Jetzt haben Miehe und seine Kollegen zwei Möglichkeiten: „Wir können die Dienste selber machen, verzichten dann aber auf Praxiseinnahmen, weil man nach einem solchen Nachtdienst keine Patienten behandeln kann“, sagt Miehe. Oder er findet einen Vertreter. Weil jedoch mittlerweile ein Personaldienstleister zwischengeschaltet werden musste, der die Poolärzte sozialversicherungspflichtig anstellt, und weil zudem ein Stundenlohn fällig wird, den der abgebende Arzt bezahlen muss, entstehen Kosten. „Bisher habe ich den Dienst einfach abgegeben, jetzt muss ich mich freikaufen“, resümiert Miehe. In jedem Fall müssten die niedergelassenen Ärzte draufzahlen, damit die Notfallversorgung funktioniere.
Wenn niedergelassene Ärzte wieder häufiger Bereitschaftsdienst schieben müssen, hat das laut Miehe noch eine weitere Auswirkung. „Alle beschweren sich, dass es keine Facharzttermine gibt“, sagt er. „Aber wenn einer die Nacht durchfahren muss, fallen am nächsten Tag 30 Termine weg“. adö